Montag, 1. Oktober 2012


Ärzte-Aufmarsch für Benny-Sir!


Es ist an der Zeit, von meiner Arbeit zu berichten. Dabei ist nur ein kleiner Haken an der Sache: Ich habe von meinem Projekt noch nicht allzu viel gesehen. Um genau zu sein, die ganze letzte Woche rein gar nichts. Insgesamt habe ich bis jetzt drei Tage lang gearbeitet, ehe mir das Dengue-Fieber einen Strich durch die Rechnung machte. Doch der Reihe nach…

Die Kalakar Vikas School, in der ich das nächste Jahr über Freizeitaktivitäten und Unterricht für die Schülerinnen und Schüler gestalten soll, ist eine nicht-staatliche Schule. Die Schüler kommen freiwillig dorthin und können bleiben, solange sie wollen. Morgens erhalten die Jungen ein wenig Unterricht, während die Mädchen staatliche Schulen besuchen. Nachmittags verhält es sich genau anders herum, wobei sich auch einige männliche Gäste unter die Frauen – und Joey und mich – mischen.

Ich muss mir immer wieder vor Augen halten, aus welch schwierigen Verhältnissen die Kinder stammen. Sie wachsen inmitten von Dreck, Lärm und Gewalt auf. Das mindert keinesfalls ihre Begeisterungsfähigkeit und ihren Lerneifer. Obwohl der Unterricht meiner Kolleginnen meiner Meinung nach todlangweilig ist, folgen sie ihm mehr oder weniger bereitwillig – vorausgesetzt, es betritt nicht gerade ein interessanter, hellhäutiger Freiwilliger aus Cloppenburg den Raum. Der wird nämlich sofort belagert und nach seinem Namen gefragt. Das Problem: Die Kinder im Grundschulalter können kaum Englisch, ihre Kenntnisse beschränken sich meistens auf ein einfaches „My name is…“. Um nun also meinen Namen zu erfahren, zeigen sie ganz einfach auf mich und sagen diesen Standard-Satz. Die Kurzform „Benny“ reicht absolut aus, um ihren Zungen einige ungewöhnliche Varianten zu entlocken. Doch ich will mich nicht beschweren, Joey hat es da viel schwerer. So bin ich jetzt also „Benny Sir“. Und „Benny Sir“ oder sein deutscher Kollege werden immer gerufen, sobald sich zwei Schüler prügeln, was am Vormittag relativ häufig vorkommt. Es ist schon fast Alltag, so wie die Gewalt im Slum an sich. Die Lehrerinnen haben längst resigniert, scheint es, jedenfalls winken sie nur müde ab. Einmal konnte Joey gerade so verhindern, dass ein Schüler mit einem Stein auf den anderen losging. Aber in der Regel laufen die Prügeleien dann doch eher harmlos ab. Die Kinder haben ja eigentlich auch ganz andere Talente: Sie sind die Nachkömmlinge traditioneller Künstler aus Rajasthan, einem Bundesstaat in der Nähe von Delhi. Deshalb bietet die Schule auch jede Menge künstlerische Aktivitäten an, vom Musizieren über den traditionellen Tanz hin zum Puppenspiel. Beim „Face Painting“, dem Gesichter-Anmalen, habe ich mich gleich als künstlerische Niete entpuppt.

Besser also, dass ich mich voraussichtlich eher auf sportliche und sprachliche Schwerpunkte konzentrieren werde und weniger auf die malende Kunst. Was genau ich machen werde, muss ich erst noch mit der Schulleitung besprechen.

Zeit habe ich ja jetzt: Seit Freitag vor einer Woche (21.9.) bin ich offiziell in Indien registriert, d. h. ich darf für ein Jahr hier bleiben. Hinter mir lag an diesem Tag  allerdings ein nervenaufreibender Marathon durch die indische Bürokratie. Einzelheiten erspare ich euch, genauso wie von meiner Krankheit. Die setzte am Abend ein, pünktlich nach einer Woche Delhi hatte ich über 39 Grad Fieber am Samstagmorgen. Um es kurz zu halten: Ich ging zum Arzt und der sollte mir in den nächsten Tagen immer wieder haufenweise Tabletten mitgeben. Irgendwann habe ich es dann gelassen, drei Paracetamol-Tabletten am Tag zu schlucken. Das Fieber ließ mir nichts anderes übrig, als die Tage im komatösen Zustand im Bett zu verbringen. Am Donnerstag war es dann plötzlich weg. Dafür kam etwas anderes: ein „feinfleckiger Ausschlag“, wie es im Internet heißt, typisch für Dengue-Fieber. Sahil, unser Mitbewohner, war bereits mit dieser für mich neuen Krankheit ins Krankenhaus eingeliefert worden. Ich beriet mich mit meinem zweiten Ich Joey und kam zu dem Schluss, am Freitag besser zum Arzt zu gehen – dieses Mal aber zu einem mit Kompetenz! Unsere Koordinatorin und Ansprechpartnerin in Delhi, Rita Roy, empfahl mir ein Krankenhaus, in das in ernsteren Fällen alle Freiwilligen gingen. Ein Glücksfall für mich!

Das Krankenhaus war extrem auf westliche Bedürfnisse angepasst, sodass es mir gar nicht so viel ausmachte, dass ich drei Nächte dort verbringen musste. Ich fühlte mich allerdings schon ziemlich gesund, das war der einzige Haken an der Sache. So wurden die Tage ziemlich lang, zumal ich am Fernsehapparat nichts verstellen konnte. Resultat: Wenn ich fernsah, dann sah ich den Sender „Movies Now“. Englischsprachige Filme – immerhin kein Bollywood, und „Harry Potter“ war auch dabei! Na also, so ließ es sich doch leben. Dazu typisch westliches Essen mit einem Frühstücksei! Ich kam mir vor wie im siebten Himmel! Ich mag das indische Essen wirklich sehr, aber in dieser Situation war ich doch dankbar für ein Stückchen „Heimat“. Das vermittelte mir auch das Badezimmer, im Vergleich zu dem Verschlag bei uns zu Hause ein „Fünf-Sterne-WC“.

Viel mehr gibt es vom Wochenende im Krankenhaus auch nicht zu berichten. Da war noch der Aufmarsch der Ärzte, dem ich ganze drei Mal beiwohnen durfte. Immer am frühen Nachmittag – mit Ausnahme des Sonntags – klopfte es an der Tür. Der Chefarzt kam rein, um mit mir Rücksprache zu halten bezüglich meines Gesundheitszustandes. Nicht der Rede wert, auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick kamen nämlich bis zu fünf weitere Personen ins Krankenzimmer. Zwei weitere Ärzte und Pflegepersonal. Letztendlich sprach ich maximal fünf Minuten mit dem Chefarzt, bevor die schweigsame Kolonne wieder auszog. 2500 Rupien nahm der Chefarzt übrigens pro Besuch, das entspricht etwa 40 Euro. Woher ich das weiß? Gleich zu Beginn meines „Kurzurlaubs“ bekam ich eine Preisliste ausgehändigt, was mich veranlasste, sofort mit meiner Versicherung in Kontakt zu treten. Die musste am Montagnachmittag erst die Zahlung in die Wege leiten, ehe ich gehen durfte. Das hat mich mindestens zwei weitere Stunden im Krankenhaus gekostet. So ticken sie halt, die Uhren der indischen Bürokratie!

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