Montag, 22. April 2013

Mein  neues, bald altes Zuhause

Der Countdown läuft - in vier Monaten und genau zwei Tage sage ich ein zweites Mal "Namasthe, Hindustan". Dann aber als Abschiedsgruß. Und ich merke, dass ein Jahr eine gute Zeit ist, nicht zu lang und nicht zu kurz. Im August gehe ich nach Hause, in meine Heimat.

Aber im Moment bin und fühle ich mich hier zu Hause, in Delhi, der Stadt, über die der Reiseführer Lonely Planet sagt: "Wer dieser Stadt der vielen Gesichter eine Chance gibt, dessen Herz wird sie erobern. Ja, die Stadt ist anstrengend, dreckig und hektisch. Aber, Hand aufs Herz: Niemand ist perfekt." Hätte ich bei meiner Ankunft vor über sieben Monaten diesen Satz gelesen - ich hätte gelacht. Mittlerweile erkenne ich, das etwas Wahres in ihm steckt, wenn man den Husten auslösenden Smog mal beiseite schiebt.
Und ich bin mittendrin in der Hauptstadt des Landes, das 18 Prozent (!) der Weltbevölkerung stellt; dieser 16-Millionen-Einwohner-Metropole mit großem Reichtum und unglaublicher Armut. Auch in sozialer Hinsicht bin ich mittendrin. Ich wohne in einer Gastfamilie der Mittelschicht mitten in Old Mahavir Nagar, einem recht langweiligen Mittelklasseviertel in West-Delhi.


In einer kleinen Gasse gehört unserer Gastfamilie
ein Reihenhaus mit fünf Stockwerken. An der Tür
eine der Aushilfen für den Haushalt.

Platz wird an allen Ecken und Enden
gespart.

Etwas größer ist die Straße, von der unsere Gasse
abzweigt.

Der Ausblick von unserem Balkon...

...und von unserer Dachterrasse...

...in alle Himmelsrichtungen.

Die Terrasse selbst ist ziemlich schlicht.



Unser Wohnzimmer - es ist bewohnt, für alle, die
meinen, es sei unaufgeräumt.


Die Küche mit dem "neuen" Kühlschrank. Es hat
einige Wochen gedauert, bis wir ihn endlich bekommen
haben. Dabei war die Lösung letztlich ganz simpel:
Wir haben einen der zwei Kühlschränke der Familie
bekommen, weil nicht genug Geld für einen neuen
da ist. Da stellt sich die Frage: Warum dauert das
dann solange? Die Antwort lautet:
Weil wir in Indien sind.

Unser kleines Zimmer mit Moskito-geschütztem
Mückennetz.


Und die Kleiderschränke.

Zu guter Letzt das Bad:
Nun ja, was da defekt war und neuerdings
ist, lasse ich mal dahingestellt.


Sieht so ein frisch renoviertes Haus aus? In Deutschland versteht man darunter sicherlich etwas anderes, aber da bin ich nun mal gerade nicht. Ich kann mich mit der Wohnung sehr gut arrangieren - zumal sie ja nur ein temporäres Zuhause ist. Solange, bis es nach der großen Sommerhitze wieder gen Heimat geht.


Dienstag, 16. April 2013


Eine Hochzeit in vier Akten


Unsere Gastfamilie hat bestens arrangierten Zuwachs bekommen. Himani, Gagans Ehefrau, wohnt seit gut einer Woche auf der Etage der Familie (Fotos vom neuen Haus folgen bald). Dennoch habe ich sie seitdem kaum gesehen, weil die beiden letzten Mittwoch auf Hochzeitsreise geflogen sind  - nach Kaschmir. Heute kommen sie wieder, von nun an wird es beim Essen etwas voller sein.
Die Hochzeit bestand aus vier Akten, wobei Joey und ich den dritten Akt am Freitag ausgelassen haben, als wiederum nur im kleinen Familienrahmen gefeiert wurde, wie schon am Tag zuvor. Da hatte es eine sogenannte „Cocktail-Party“ gegeben, wobei Liebhaber von Caipirinha, Mojito & Co. eher nicht auf ihre Kosten gekommen sind. Die Männer tranken Whiskey im Esszimmer, während die Frauen sich draußen mit Hennafarben bemalten.
Dass der aus religiösen Gründen eigentlich verbotene Alkohol getrunken wurde, zeigt eine gewisse Liberalität – zumindest in religiöser Hinsicht. Auch einen Turban und einen Vollbart wie die meisten gläubigen Sikhs (Erklärung s. Link)ihn nicht nur im Tempel, sondern auch im Alltag tragen, haben weder Gagan noch sein Vater.
Und selbst auf der eigentlichen Hochzeit am Samstag gab es Alkohol, wenn auch in einem abgetrennten Zelt, quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Noch mehr zu den Akten 1 und 4 findet ihr unter

http://www.nwzonline.de/cloppenburg-kreis/arrangierte-hochzeit-mit-vielen-emotionen_a_3,1,143571338.html

1. Akt:
Unser Gastvater "Uncle" vor dem Altar, vor dem
sich jeder Hochzeitsgast verneigte - auch Joey und
ich natürlich.

 Gasmutter "Aunty" tanzt, während Uncle Geld
über den Tänzern kreisen lässt. Das bei diesem Brauch
gesammelte Geld soll den Armen zugute kommen.

 Jetzt ist Uncle selbst mit in den Tanz eingestiegen.

 Gagan mit seiner bereits verheirateten Schwester.


Joey rot gepunktet - der Punkt steht für den Besuch
eines Tempels bzw. des Hochzeitszeltes in diesem
Fall. Ihn bekamen wir nach dem Verneigen am Altar.

 Ein Blick auf die Straße.

4. Akt:
 Gagan hatte offensichtlich nicht so viel Spaß, als
ihm der Turban gebunden wurde.

 Wir durften auch einige deutsche Freunde einladen.

 Ein weiteres Ritual: Dem Bräutigam werden von
verschiedensten Leuten Kränze aus Geld umgehängt.
Aber man sieht: Geld macht nicht glücklich.

 Die Hochzeitskutsche.

 Mitfahren durften neben Gagan auch sein Neffe...
(ganz rechts)

 ... und seine Nichte.

 Es ist soweit: Gagan holt Himani zu sich auf die
Bank.

Anschließend hängen sie sich gegenseitig einen
Kranz aus Blumen um.

 Der Ort des Geschehens, in der Mitte besagter
Springbrunnen. Es war auf jeden Fall genug Platz da.

Last but not least: Gruppenfoto vom Ehepaar und
seinen deutschen Hochzeitsgästen. Man achte auf
meine Schuhe, ich finde sie haben Stil.


Hier wird eindrucksvoll die Problematik der eigentlich längst verbotenen Mitgift geschildert. Der Brauch ist vergleichbar mit dem Kastensystem – verboten, aber noch nicht aus den Köpfen der Menschen vertrieben.
Meine Gastfamilie hat jetzt einen neuen Fernseher, ein „Geschenk“ von Himanis Familie, wie man mir mitteilte. Wie man es nimmt, ist letztlich egal. Man kann die Mitgift schließlich noch als anderen Brauch akzeptieren, solange sie keine schrecklichen Konsequenzen hat wie Mädchen- und Frauenmorde. Das wird bei unserer Gastfamilie aber nicht passieren – dafür lege ich meine Hand ins Feuer.