Für immer fremd
Varanasi, die „heilige Stadt“ am
Ganges, Ziel vieler hinduistischer Pilger und Schauplatz der traditionellen
Totenverbrennung, war am letzten Wochenende der letzte Urlaubsort meines
Indienaufenthaltes. Der zwölf Stunden Zugfahrt von Delhi entfernte und vom
Reiseführer Lonely Planet als
möglicher „Höhepunkt der Indienreise“ angekündigte Ort entpuppte sich trotz der
Monsunzeit als Quelle der hinduistischen Spiritualität. Es waren allerdings
weniger Pilger als erwartet unterwegs. Weil der Ganges den höchsten Wasserstand
seit vielen Jahren aufweist, sind die sogenannten Ghats alle überflutet. Von diesen Steintreppen, die ins Wasser
führen, steigen die Gläubigen hinab, um ein Bad im für Hindus heiligen Ganges
zu nehmen. Hier können sie sich laut hinduistischer Lehre von ihren Sünden
reinwaschen. Dabei stört es die Pilger auch nicht, dass der Fluss eher einer
fließenden, braunen Schlammlawine mit unzähligen Schadstoffen und Bakterien
gleicht. Wir haben sogar eine alte Frau, deren Kleider vom Wasser durchtränkt
waren, sich eine Anhöhe hinauf schleppen sehen.
Viel auffallender waren indes
unzählige komplett in orange gekleidete Pilger, die mit bunt geschmückten
Stangen in Richtung Fluss marschierten und dabei Parolen riefen. Man konnte
sich durchaus an Karl Marx‘ berühmtes Zitat mit der Religion, die Opium für das
Volk sei, erinnert fühlen. Vor allem in der Abenddämmerung herrschte rund um
die überfluteten Ghats reges Treiben,
wobei ich die Stadt gar nicht so chaotisch fand, wie sie beschrieben wird. Ein
Jahr in Delhi härtet eben ab.
Und es macht auch müde. Müde,
weil man immer wieder mit Betrügern und Halsabschneidern zu tun hat. Dass die
Schlepper und Rikscha-Fahrer in Delhi nervig sind, wusste ich. Dass sie in
Varanasi sogar noch nerviger sind, konnte ich mir höchstens denken, schließlich
handelt es sich um eine Touristenhochburg. Selbst wenn wir – ich reiste mit
meinen Mitfreiwilligen Tine und Liane – endlich in einer Auto-Rikscha saßen,
konnten wir nicht sicher sein, dass man nicht doch noch versucht, den Profit
hinten herum in die Höhe zu treiben. Das ist in Delhi dann doch eher die
Ausnahme.
Die perfideste Strategie,
Touristen Geld abzuknöpfen, verfolgten aber Männer am sogenannten burning ghat, an dem die Toten nach
hinduistischer Tradition verbrannt und eingeäschert werden.
Touristen dürfen wie auch jeder
andere Bürger auf das Dach eines Gebäudes steigen, von wo aus man sieht, wie
die verhüllten Leichen herbeigetragen, das Holz für die Verbrennung abgewogen
wird und die Feuer am Brennen sind. Bei dieser intimen Zeremonie ist
Fotografieren natürlich verboten. Eintritt wird selbstverständlich auch nicht
genommen.
Wir waren zweimal an diesem Ghat. Beim ersten Mal sagten uns die
Männer am Eingang sehr deutlich, wir müssten den auf der ersten Etage
bettelnden Frauen eine Spende geben. Ich war schon da skeptisch, letztlich
gaben wir aber eine kleine Spende. Als uns beim zweiten Mal der gleiche Unsinn
erzählt wurde mit dem Zusatz, es müssten 100 Rupien (ca. 1,30 Euro) gespendet
werden, gingen wir nicht darauf ein. Daraufhin versperrte der Mann uns den Weg
und wurde regelrecht aggressiv. Zum Glück konnte Tine mit einer in ihrem sehr
guten Hindi vorgetragenen Bitte erreichen, dass wir nach oben gelassen wurden;
die Stimmung war uns aber vermiest.
Es sind solche Vorkommnisse, die
mir das Gefühl geben, vorerst genug von Indien zu haben. Es gibt auch jede
Menge gastfreundliche und hilfsbereite Menschen in diesem Land, keine Frage.
Doch leider muss man immer auf der Hut sein, nicht einem Betrüger auf den Leim
zu gehen.
Ich habe das Gefühl, ein
wandelnder Geldbeutel zu sein, aus dem fast jeder seinen Anteil haben will.
Sicherlich bin ich im Vergleich zu einem Großteil der indischen Bevölkerung
reich – und erst recht privilegiert, etwa indem ich krankenversichert bin. Ich
kann auch verstehen, dass ein armer Rikscha-Fahrer bei mir ein Geschäft
wittert. Dabei finde ich es nicht einmal dramatisch, wenn ich ein paar Rupien
zu viel zahle. Wenn aber ein Basarverkäufer versucht, mir einen Regenmantel für
1850 Rupien anzudrehen, für den ich am Ende 300 zahle, hört der Spaß für mich
langsam auf. Immerhin kann ich mit meinen paar Sätzen signalisieren, dass ich
keiner der typischen westlichen Touristen bin. Dann läuft es oft schon besser,
wenn auch längst nicht immer.
Die Politik der unterschiedlichen
Preise je nach Nationalität wird sogar von offizieller Seite gefahren. An
Touristenattraktionen kommen Inder generell für zehn oder zwanzig Rupien rein
(etwa 12 bis 22 Cent), während Ausländer das zehn- bis zwanzigfache des Preises
zahlen. Das finde ich aber durchaus in Ordnung. Schließlich haben Touristen
deutlich mehr Geld als viele Inder und die Preise sind aus europäischer Sicht
immer noch human. Zumal Ausländer wie ich, die für einen längeren Aufenthalt
registriert sind und das entsprechende Dokument vorlegen können, meistens nur
den Preis für indische Besucher zahlen müssen.
Absurd waren die Eintrittspreise
hingegen an einem kleinen Freizeitgelände bei Varanasi. Hier wurde nicht nur
zwischen Indern und Ausländern unterschieden, sondern auch innerhalb der Gruppe
der Ausländer. So wurde von Asiaten ein niedrigerer Eintritt verlangt als von
„anderen Ausländer“. Woran macht man
aber bitte meine Nationalität fest? Etwa am Aussehen? Oder wird tatsächlich der
Reisepass kontrolliert? In dem steht unter Nationalität aber „Deutsch“. Ich
bezweifle, dass der Ticketverkäufer diese Bezeichnung „Germany“ zuordnen kann.
Dies ist nur eine kleine Episode
aus lauter kleinen Geschichten, die ich erzählen könnte, um Rassismus in Indien
zu beschreiben. Er wird hier deutlich offener gezeigt, ist nicht so
unterschwellig wie in Deutschland manchmal. Weiße werden oft sogar bevorzugt,
wenn es nicht ums Zahlen von Preisen geht. Das kann auch Gastfreundlichkeit
sein, die Bewertung ist schwierig, ich möchte sie hier gar nicht vornehmen.
Gegenüber Schwarzen und Indern mit dunklerer Hautfarbe wird die Diskriminierung
schon augenscheinlicher. Ich habe selbst nur ein paar Beispiele erlebt, die Art
und Weise, wie meine Gesprächspartner häufig über diese Menschen reden, ist
aber in der Regel abschätzig.
Obwohl ich nicht selten mit
manchmal sogar übertriebener Höflichkeit behandelt werde, kann ich mich nicht
heimisch fühlen in diesem Land. Vielleicht gewinne ich einen kleinen Eindruck davon,
wie es Ausländern in Deutschland ergeht. Einen Vergleich kann ich natürlich gar
nicht ziehen. Ich finde es auch gar nicht schlimm, wenn Leute bei einem
Gespräch unter Deutschen interessiert schauen. Tun wir nicht oft dasselbe, wenn
wir eine türkische oder dunkelhäutige Familie in der Straßenbahn auf ihrer
Muttersprache reden hören?
Was mich stört, sind die manchmal
starrenden Blicke. Zusammen mit dem Bild vom „reichen Weißen“ sind sie ein
Hauptgrund für meine Resignation bezüglich Indien und die Vorfreude auf
Deutschland.
Natürlich habe ich viel mehr gute
Erfahrungen gemacht als schlechte. Ich werde Indien mindestens mit einem
weinenden Auge verlassen. Ein großes, alles umfassendes Fazit werde ich dann in einem meiner nächsten
Einträge ziehen.
Ganz besonders aufschlussreich
war bisher indes eine Erkenntnis: Deutschland ist meine Heimat und wird es auch
immer bleiben. Hier bin ich die ersten 19 Jahre meines Lebens aufgewachsen, die
deutsche Kultur hat mich geprägt. Ich kann mich an ein Land anpassen, aber
meine inneren Werte werden sich – wenn überhaupt – nur ganz langsam ändern.
Nach diesem Jahr bin ich hungrig,
noch viele andere Länder und deren Kulturen kennenzulernen. Erst einmal heißt
es jedoch back to the roots. Denn ich
habe gemerkt, wie deutsch ich in vielerlei Hinsicht doch bin.
Die Links zu meinen letzten beiden Artikeln in der Nordwest Zeitung:
http://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/kastensystem-ist-noch-praesent_a_7,2,1598569614.html
http://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/exporte-gehen-in-die-ganze-welt_a_8,2,3285919118.html
Und Fotos aus Varanasi:
In den engen Gassen der Altstadt sind wir untergekommen.
Dabei sind wir auf ein altes Indien-Klischee getroffen: In der
"heiligen Stadt" gibt es jede Menge Kühe!
Spielende Kinder vor einem nepalesischen Tempel.
Fröhlich am Ghat.
Eines der überschwemmten Ghats.
Auflauf am Abend in der Nähe eines solchen Flusszuganges.
Ein orange gekleideter Pilger trägt seinen geschmückten Stab.
Tine und Liane bei... ja wobei eigentlich?
5.30 Uhr...
...am Samstagmorgen...
...Sonnenaufgang...
...über Varanasi
Ein buddhistischer Tempel auf dem Gelände der hoch
angesehenen Universität der Stadt.
Tine und ich am Ausgang des Tempels.
Eine Fakultät der Universität, versteckt hinter Palmen.
Die orange gekleideten Pilger strömen zu den Ghats.
Buddha-Statuen neben dem Tempel
Drei Indien-Klischees, vereint auf einem Bild: Die Säulen
eines Tempels, ein Junge mit Cricket-Schläger in der Hand
und im Hintergrund Kühe. Das Positive an Klischees: Sie
zeigen manchmal durchaus einen Teil der Wirklichkeit.
Ausblick von der Dachterrasse unseres Gästehauses auf
die Stadt
Abschied aus Varanasi: Am architektonisch anspruchsvoll
gestalteten Bahnhof