Der Teufel ist vertrieben – die Korruption bleibt
Verfrühtes Silvester in Delhi? Wer nicht wusste, dass der
24. Oktober in Indien ein Feiertag war, mag sich wie im falschen Film
vorgekommen sein. Brände und Explosionen an fast jeder Straßenecke sorgten für
einen beinahe beängstigenden Lärm in den Gassen der Stadt. Und ich war
mittendrin, was neben meinen Ohren auch meine Kamera kurzzeitig zu spüren
bekam. Zum Glück sind die lila Streifen auf dem Display inzwischen wieder
verschwunden. Zusammen mit drei „Community-Boys“, wie die älteren Schüler, die
zum Englisch lernen in die Schule kommen genannt werden, habe ich „Dussehra“
gefeiert, das jährliche Highlight für jeden Hindu. Joey ist leider
krankheitsbedingt kurzfristig ausgefallen.
Mit der für Indien typischen chronischen Verspätung holte
mich Rahul von der Metrostation ab. Bereits auf dem Weg zu ihm nach Hause
konnte ich riesige, farbige Statuen bestaunen, die alle den Teufel Rama
darstellen. Vor zwei Monaten haben viele Inder begonnen, an diesen Kunstwerken
herumzubasteln, damit sie pünktlich zum Fest fertig sind. Auf den Straßen war
es deshalb angenehm leer, dafür herrschte in den Gassen reges Treiben. Bevor
ich jedoch das jährlich wiederkehrende Ritual bestaunen durfte, stellte mich
Rahul stolz seiner Familie vor. Zu fünft wohnt der 33-jährige mit zwei
Geschwistern und seinen Eltern in einer kleinen Wohnung, in der es zwei Betten gibt.
Zwar ist alles sehr beengt, dafür aber aufgeräumt und sauber. Nebenan wohnen
weitere Brüder mit ihren Frauen, die teilweise schon Kinder haben. Ein Baby
sollte ich dann für’s Fotoshooting auf dem Arm halten. Eigentlich ein Akt von
wenigen Sekunden, aber die Kleine war offenbar trotzdem nicht begeistert von
dieser Aktion, weshalb sie mich kurzerhand als Toilette benutzte.
Danach wurde ich noch Pradeeps Familie vorgestellt, die in
einem leerstehenden Gebäude mit vier Personen ein Zimmer bewohnt. Anscheinend
teilt sie sich Küche und Waschmöglichkeiten mit den anderen Hausbewohnern. Tee
gab es – wie übrigens das abschließende Abendbrot – nur für mich: eine wirklich
unangenehme Situation. Mir blieb aber nichts anderes übrig, als beides dankend
anzunehmen, um den Stolz der Familien nicht zu verletzen.
Es war gegen 19 Uhr, als wir uns auf den Weg machten, das
„Dussehra“-Festival anzuschauen. Um den Teufel Rama zu vertreiben, werden nach
und nach die gebastelten Statuen angezündet. Das explodierende Feuerwerk bietet
ein imposantes Schauspiel, dem auf den Straßen die Massen beiwohnen. Leider
gibt es das nächste „Dussehra“ erst in einem Jahr. Aber Silvester feiern die
Inder entgegen anders lautenden Informationen auch…
Und egal, wie wenig Geld sie haben, für laute
Feuerwerkskörper scheint immer Geld da zu sein. Auf dem Weg zur Schule am
Donnerstagmorgen knallte es jedenfalls noch an so mancher Ecke. Dort hatte ich
an diesem Tag mal wieder mehr zu tun, es hängt halt immer davon ab, wie viele
Schüler da sind. Aufgrund der offiziellen Schulferien diese Woche (die Kalakar
Vikas School hat immer offen!) war oft nur eine Handvoll in den Klassen. In einer Nachmittagsklasse waren auch nur elf Mädchen, weshalb ich
kurzerhand den kompletten Unterricht dort übernehmen sollte. Aus elf wurden aus
mir bislang unerklärlichen Gründen binnen weniger Minuten 19 Schülerinnen, die
einen geregelten Unterricht praktisch unmöglich machten.
Doch nicht nur die Bildung ist zumindest im Slum ein
Problem. Viel zitiert ist auch die angebliche Korruption im Land. Wir haben sie
uns erstmals zunutze gemacht. Samstagnacht auf dem Heimweg saßen wir mit sieben
Freiwilligen im Auto eines irakischen Übersetzers. Prompt wurden wir an einer
Polizeikontrolle aus dem Verkehr gezogen, was tagsüber eher unüblich ist. Für
nicht einmal drei Euro Schmiergeld durften wir allerdings weiterfahren. Indiens
Premier – so wurde mir überliefert - hat zu diesem Thema vor kurzem gesagt:
„Das ständige Gerede über Korruption verbreitet eine schlechte Stimmung im
Land.“ Dann höre ich lieber auf, über dieses teuflische Thema zu schreiben, um
das Problem nicht noch zu verschärfen.
Ein paar Fotos sind sogar gelungen! Auf dem einen seht ihr meine drei indischen Freunde, auf den anderen (brennende) Statuen.