Mittwoch, 26. Dezember 2012

FROHE WEIHNACHTEN


aus Delhi, das sich in Bezug auf die Temperaturen mit rund 7 Grad Celsius gerade am vorläufigen Tiefpunkt befindet!

http://www.nwzonline.de/cloppenburg/kultur/auch-hindus-feiern-mit-tannenbaum_a_2,0,123838465.html



Samstag, 22. Dezember 2012


Grenzgänger auf verschiedenem Terrain


Ein Europa ohne Grenzen – bisher ist das wohl immer noch mehr eine Vision als die Realität. Dennoch ist wohl jede Grenze in Europa nichts gegen die Grenze, die ich bei meinem Trip nach Amritsar kennenlernte. Es ging an diesem Wochenende bei näherer Betrachtung generell viel um Grenzen und Grenzenlosigkeit.
Los Richtung Nordwesten ging es um 20.15 Uhr am Freitagabend, zusammen mit den Mitfreiwilligen Tine und Liane sowie Arne, der zurzeit zu Besuch bei einem anderen Freiwilligen in Delhi ist. Im Sleeper-Wagen erwartete uns eine unruhige Nacht. Dafür war das Ticket günstig, die Hin- und Rückfahrt kostete pro Kopf etwas mehr als sechs Euro. Dass der Zug für die knapp 500 Kilometer pro Strecke zwölf Stunden brauchen würde, erschien uns zunächst unverständlich. Wenn man allerdings das letztendliche Durchschnitts-Tempo und die Haltezeit an vielen kleinen Bahnhöfen in Betracht zieht, erklärt sich die Fahrtzeit von selbst. Dass am Bahnhof ein Plakat die indische Bahn als „Stolz der Nation“ (man stelle sich das einmal bei der Deutschen Bahn vor) adelt, mutet da ein bisschen merkwürdig an, auch wenn unser Abteil für den Preis in Ordnung war. Wir hatten jeder eine relativ unbequeme Liege und kein abgetrenntes Abteil, was uns aber nur gelegentlich Gaffern ausgesetzt hat. Anstrengender waren da vor allem auf der Hinfahrt die schnarchenden Mitfahrer.

Am Bahnhof in New Delhi - Nizzamuddin

Kurz vor Amritsar. Aufnahme aus dem fahrenden Zug

Amritsar ist ein lohnendes Reiseziel, obwohl es nur zwei Highlights bietet.

Die Grenzenlosigkeit des Sikhismus bekamen wir am Goldenen Tempel, dem Heiligtum dieser Religionsgemeinschaft zu spüren. Das in Gold erstrahlende Gotteshaus wird von einem See, dem „heiligen Wasser“ umgeben, an dessen Ufer man die Anlage einmal umrunden kann. Jeder Mensch ist hier willkommen, vorausgesetzt er läuft barfuß und bedeckt seinen Kopf, es gibt also keine Abgrenzung.
Trotz der Vielzahl der Besucher und Betenden ist es hier außerdem angenehm ruhig.

Der Goldene Tempel umgeben vom Heiligen Wasser.

Das Strahlen des Tempels steckte auch Liane an.

Bootstour auf dem "Heiligen Wasser".
Im Hintergrund ein Eingangstor zum Tempelbereich

Laut wird es dagegen beim Abwasch der größten Gratisküche der Welt. Jeder ist eingeladen, auf dem Boden des Speisesaals eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Wer kann, wird am Ausgang um eine Spende gebeten. Und selbstverständlich darf auch jeder mithelfen, ob beim Gemüse schneiden oder Abspülen. Tine und ich haben uns am Sonntag für das Erbsenpulen entschieden und dabei interessante Bekanntschaften gemacht. So wurde ich etwa von einer Gleichaltrigen nach meiner Kaste gefragt – so viel vorerst zur offiziellen Abschaffung des Kastenwesens – und dann verwundert angeschaut, als ich antwortete, ich habe keine Kaste.

Das schmutzige Geschirr aus Stahl wurde zum
Abwasch geworfen

Untergekommen sind wir ebenfalls in unmittelbarer Nähe zum Tempel, in der kostenlosen Backpacker-Unterkunft für Ausländer, bei der auch nur um eine Spende gebeten wird. Eine kleine Grenze zeigt sich hier schon, schließlich schliefen die indischen Pilger massenweise auf dem Platz in der Mitte, was uns auch nicht gestört hätte.

Schlafsaal der indischen Pilger

Der Besuch des Goldenen Tempels war der besinnliche Teil und das eigentliche Ziel unserer Reise. Dennoch: Wer in Amritsar zu Besuch ist, für den ist die tägliche Grenzschließungszeremonie an der 30 km entfernt liegenden pakistanischen Grenze ein Muss. Zwar wird sehr viel Wind um einen an Lächerlichkeit grenzenden Hahnenkampf gemacht, aber imposant ist der Übergang von Indien nach Pakistan allemal.
Stacheldraht trennt die beiden verfeindeten Staaten, die sich seit der Unabhängigkeit von Großbritannien unter anderem um den Landesteil Kaschmir streiten. Im Moment ist es kein bewaffneter Konflikt, und wie das „Sunday Tribune“ berichtet, wurden ausgerechnet in letzter Zeit einige Abkommen, wie etwa zur Vereinfachung des Grenzverkehrs, geschlossen. Da mutet die Zeremonie gleich noch ein bisschen mehr wie ein aus der Zeit gefallenes Event an.

Hochgesicherter Grenzbereich

Massenweise strömten die Inder auf die Besuchertribünen, und auch die pakistanische Seite ließ sich nicht lumpen. Nach Angaben unseres Fahrers wohnten am Sonnabend gut 30000 Zuschauer dem Spektakel bei, in Wirklichkeit waren es geschätzt etwa 10000. Als Ausländer bekamen wir spezielle Plätze direkt am Straßenrand, von denen die Aussicht allerdings nicht wirklich besonders war. Was ich sah, zauberte mir aber zumindest ein amüsiertes Lächeln auf die Lippen.

Die indische Seite, repräsentiert durch den
Nationalhelden Mahatma Gandhi

Etwas weiter entfernt die Pakistaner. Wer weiß,
wer porträtiert ist? Ich weiß es nicht

Die Soldaten beider Staaten trugen eine Kopfbedeckung, die von einem Hahnenkamm nicht weit entfernt war. In aberwitziger Manier marschierten sie eine gute Viertelstunde lang in Richtung Grenztor, wobei sich der ein oder andere fast seinen Kamm mit dem Fuß vom Kopf schlug.



Impressionen von der Parade

Unterdessen brachte ein Animateur im weißen Indien-Trainingsanzug die eine Seite des Tores in Stimmung. Im Wechsel mit ihm brüllten die Zuschauer den Schlachtruf „Lang lebe Hindustan“. Doch auch die Pakistaner waren keinesfalls ruhig, was nichts daran änderte, dass die ganze Prozedur völlig überzogen war angesichts ihres Zieles: Am Ende wurden die Fahnen eingezogen und die Grenze gegen 17 Uhr geschlossen, um am nächsten Morgen um 9 Uhr wieder zu öffnen.

Die Flaggen werden eingeholt

Dann ist das Grenztor geschlossen

Das war auch zwingend notwendig, denn auf der indischen Seite warteten handgezählt über 500 Lastwagen darauf, den Übergang zu passieren.

Die Lastwagenkolonne, aufgenommen durch die
Windschutzscheibe

Laut Informationen unseres Fahrers werden täglich 215 Fahrzeuge abgefertigt. Es wären sicherlich ein wenig mehr, wenn man dieses etwas altertümliche Szenario vor Sonnenuntergang sein ließe. Schließlich – dieser Eindruck bleibt – dient es nicht zuletzt der Radikalisierung der Zuschauer.
Wir waren genauso radikal oder eben nicht radikal wie zuvor, als wir nach erneuten zwölf Stunden Delhi am Montagmorgen gegen 4 Uhr erreichten. Auf dem Weg aus dem Bundesstaat Punjab nach Delhi waren wir durch UP West gereist und hatten somit noch zwei unsichtbare Grenzen passiert.
Nach diesem Wochenende als vielfacher Grenzgänger bleibt mir vor allem eine Erkenntnis: Am liebsten ist mir immer noch die Grenzenlosigkeit des Sikhismus.

Ein letzter Panorama-Blick über den Tempelbereich

Unsere Reisegruppe ein letztes Mal vor dem Tempel

Dienstag, 11. Dezember 2012


Absurdistan in Hindustan


 
Dass ich in Indien bin, merke ich immer wieder. Gewisse Dinge laufen hier einfach anders als in Deutschland. Sicherlich sind nicht alle unten aufgeführten Beispiele „typisch indisch“, sie bilden lediglich meine persönlichen Erfahrungen ab. Die Londoner Metro funktioniert z. B. fast genauso wie die Delhi Metro, schließlich ist sie auch deren Vorbild.
Manche Erfahrungen sind einfach absurd komisch und vielleicht auch etwas überspitzt dargestellt. Deswegen solltet ihr Vieles mit einem Augenzwinkern lesen!
 
Metrotüren können Familien trennen
 Die Delhi Metro muss täglich Massen von Menschen transportieren. Da ist es verständlich, dass nicht auf jeden einzelnen von ihnen Rücksicht genommen werden kann. Als besonders rücksichtlos erweisen sich dabei Türen. Nach dem kurzen Aufruf, die Türen freizugeben, ertönt ein Piepen und die Türen schließen blitzschnell. Wer noch einen Arm oder ein Bein dazwischen hat, hat Pech gehabt. Meistens gehen sie nur kurz wieder auf, lassen das Opfer sein eingeklemmtes Körperteil befreien, und schließen dann wieder. Nur wenn der Betroffene sehr hartnäckig ist, gehen sie manchmal komplett wieder auf. So kann es schon mal vorkommen, dass Familien am Metrogleis durch eine hervorschnellende Tür getrennt werden. Und so ist wohl auch zu erklären, dass die Passagiere wie verrückt in die Züge hineindrängeln und –schubsen.
Dennoch hat dieses Phänomen auch etwas Positives: Es garantiert, dass die Wartezeit an den Stationen statt zehn meistens maximal eine Minute beträgt.
 
Achtung: Stolpergefahr!
Binnen weniger Tage konnte ich die meisten Standardsätze in der Metro auswendig. An jeder Station wird der Passagier mit Informationen überfrachtet, und dann auch noch in Hindi und in Englisch. Die lächerlichste dabei: „Please mind the gap!“ Welche Lücke man beachten soll, ist mir allerdings schleierhaft. Wahrscheinlich ist der 5-Zentimeter-Spalt zwischen Zug und Plattform gemeint. Dabei liegen beide auf einer Ebene, sodass es selbst für mutwillige Schadensersatzkläger unmöglich sein dürfte, über die Lücke zu stolpern.
 
Belästigung ist nicht nur Frauensache
 Um Frauen vor sexueller Belästigung oder anderen Unannehmlichkeiten zu schützen, gibt es in der Delhi Metro ein Abteil nur für Frauen, das sich immer im ersten Waggon befindet. An hellhäutige Ausländer wurde indes nicht gedacht, auch wenn ich mich letzten Freitag durchaus belästigt gefühlt habe. Ich stand lesend an eine Tür gelehnt, als sich ein untersetzter Mann in Kuscheldistanz zu mir stellte. Weil ich ihn unmissverständlich ignorierte, berührte er fast ebenso unauffällig mein Bein, weshalb ich kurz aufblickte. Das war für ihn der Startschuss. Er stellte mir die üblichen Fragen, allerdings nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals. Und immer wieder wies er mich darauf hin, dass ich ihm Bescheid sagen solle, falls ich ein „Angebot“ für ihn hätte. Was für ein Angebot auch immer – ich ließ ihn wissen, dass dies sicherlich nicht der Fall sein werde. Das störte ihn nicht, und er versuchte mir penetrant seine Handynummer unterzujubeln, was ich erfolgreich ignorierte. Alle Versuche, die recht einseitige Konversation ganz abbrechen zu lassen, indem ich nur knapp antwortete und anschließend wieder in mein Buch starrte, waren zuvor schon gescheitert.
Mindestens genauso nervig war ein Deutschlehrer aus Kerala im Süden Indiens, der mich in katastrophalem Deutsch auf der Straße angesprochen hatte. Ich solle ihn doch mal besuchen kommen und in seinen Unterricht begleiten. Im Nachhinein betrachtet blieb ich wohl zu höflich und verneinte nicht vehement genug. Überdies beging ich den Fehler, ihm meine Handynummer zu geben. Zweimal erreichte er mich, beide Male war es laut um mich herum und ich verstand kein Wort. Zweimal verpasste ich den Anruf der unbekannten Nummer - zum Glück. Beim fünften Mal gab es keinen Ausweg: Ich hatte ihn an der Strippe, und konnte ihn erst gar nicht zuordnen, weil er plötzlich Englisch sprach. Er hatte gelernt, und sollte es gleich noch einmal tun: Wenig später hatte ich ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er sich seine Idee abschminken könne.
 
Diktator im karierten Pyjama
 Mit zwei Freunden, die ich noch von unserem Vorbereitungsseminar kannte, und die in der Nähe von Kalkutta arbeiten, war ich bei einer Aufführung verschiedener traditioneller Gruppen aus West-Bengalen. Wir  waren gerade kurz davor, in Tiefschlaf zu verfallen, angesichts der Langwierigkeit dieser Veranstaltung, als uns der „Diktator im karierten Pyjama“ neues Leben einhauchte. Aus irgendeinem Grund wurden zwei Männer nach vorne gerufen und mit einer gebastelten Krone geadelt. Der eine von ihnen trug Sandalen und eine kurze, grau-schwarz karierte Stoffhose, die wahlweise als Schlafanzughose oder aus den Fugen geratene Boxershorts durchgeht. Damit nicht genug. Diese schon äußerlich furchteinflößende Respektsperson hielt anschließend eine Rede, bei der sie wild mit den Händen fuchtelnd unter anderem über „Pakistan“  und „Kaschmir“ schwadronierte. Doch der Höhepunkt sollte erst noch kommen: Der zum Diktator mutierte Schlafwandler stimmte ein Lied an, in dem er und das Publikum tatkräftig irgendetwas über Hindustan sang. Hindustan? Das ist der ursprüngliche Name für Indien.
Nun wurde mir gesagt, der Diktator habe positive Dinge über Pakistan und Kaschmir gesagt. Der erste Eindruck war gleichwohl ein etwas anderer.
 
Akute Explosionsgefahr auf dem Postamt
 Wie bereits berichtet, ist es spottbillig einen Brief von Indien nach Deutschland zu schicken, der Preis beträgt etwas mehr als 30 Cent. Den Rest zu einem für uns normalen Betrag zahlt man offensichtlich mit den Nerven, was zu einer akuten Explosionsgefahr auf dem Postamt führt. Lange konnte ich mich zurückhalten, heute bin ich das erste Mal etwas unfreundlich geworden.
Das Postamt, zu dem mich mein Gastbruder geschickt hat, liegt relativ günstig auf dem Weg zur Arbeit. Die erste Schwierigkeit stellen allerdings die Öffnungszeiten dar. Auf dem Schild vor dem Postamt sind die hierfür vorgesehenen Felder jedenfalls leer.
Innen bekam ich jedes Mal andere Öffnungszeiten gesagt, wobei die Zeitspanne mit jedem Mal sank. Hatte das Büro beim ersten Mal noch von 10 bis 18 Uhr auf, reduzierte sich die Öffnungszeit beim zweiten Mal bereits auf 10 bis 17 Uhr. Bevor ich eine neue Variante vorgestellt bekam, holte ich an einem Samstagnachmittag gegen 16 Uhr ein Paket ab. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie skurril die kommende Situation ist. Als ich erneut einen Brief aufgeben wollte, hieß es, das Postamt habe sonnabends von 10 bis 14 und unter der Woche von 10 bis 16 Uhr auf. Ich schenkte dem keinen Glauben, und gab an einem Montag um 16.45 (also außerhalb der „Öffnungszeiten“) einen Brief auf. In Deutschland wirft man einen Brief einfach in den Briefkasten. In Indien macht man hieraus einen Staatsakt. Nachdem ich mindestens 15 Minuten gewartet hatte, versuchte mich ein Beamter wegzuschicken. Als ich gerade im Begriff war zu gehen, kam eine kompetente Mitarbeiterin, die mir dann die nötigen Briefmarken verkaufen konnte. Allerdings musste ich den Brief anschließend in den Briefkasten vor dem Postbüro werfen.
Heute dann Episode 2: Mit einer gewissen Vorahnung betrat ich das Büro. Auf einer Tafel stellte ich erstmals fest, dass es offensichtlich für die verschiedenen Dienstleistungen verschiedene Öffnungszeiten gibt – von wegen alles easy, aber wenigstens ein Erklärungsansatz.
Warum ich danach aber erst einmal alle Empfängeradressen in ein Formular eintragen musste, das ich anschließend an den Brief anheften musste, habe ich nicht nachvollziehen können. Briefmarken gab es aber nur von 10 bis 15 Uhr, weshalb ich am Ende doch auf den nächsten Tag vertröstet wurde. Leider reiben sich die Öffnungszeiten mit meinen Arbeitszeiten. Aber es half auch nicht, dem gefühlt unfreundlichsten Menschen dieses Planeten, den ich schon beim vorherigen Mal kennengelernt hatte, darauf hinzuweisen, dass ich jedes Mal mit anderen Öffnungszeiten konfrontiert werde. Man schickte mich ins nächste Postamt, das tatsächlich unter der Woche bis 19.30 Uhr Briefmarken verkauft! Nach einer Stunde konnte ich endlich die Briefe aufgeben. Sensationell, und zugleich die Lösung dieses Problems. Die indische Post und ich – eine Liebesbeziehung wird es wohl kaum mehr werden, aber immerhin haben wir jetzt eine gemeinsame Geschäftsbasis.