Mittwoch, 16. Januar 2013

Fünftägige Flucht ins „deutsche“ Mumbai


Viele Menschen, chaotischer Verkehr, bedeutende Metropole – und dazu Slums, Smog und Straßenkinder. Ob Delhi oder Mumbai, man findet es in beiden Städten. Warum also ins ehemalige Bombay fahren, wenn man doch alles auch in Delhi haben kann?
Na gut, fast alles! Da fängt es nämlich schon an: Mumbai hat Bollywood, Delhi nicht. Mumbai hat einen Hafen, Delhi nicht. Mumbai liegt in der Nähe einer paradiesischen Insel, Delhi nicht. Und: In Mumbai ist es sommerlich warm zurzeit, in Delhi nicht.
Ich wollte die Unterschiede selbst sehen, die offensichtlichen wie die versteckten. Außerdem war Wibke, eine Freundin aus den Londoner Paralympics-Zeitungs-Tagen in diesem Sommer, mit 8 Mitschülern und zwei Lehrern in Mumbai, weil die Gruppe einen Schulwettbewerb gewonnen hatte. Ich konnte also gleich beides verbinden. Mumbai wurde so fast schon deutsch für ein paar Tage…


Nein, wir sind nicht verrückt!
Ein besonderer Gruß an das Paralympics-Zeitungs-Team,
das jetzt zum GOLD-Team geworden ist.

"GOLD - Du kannst mehr als du denkst" heißt der Film über drei Sportler mit Behinderung, der Ende Februar seine Premiere feiert (http://www.du-bist-gold.de/projekt_gold.html)


Der widersprüchlichste Taxifahrer der Stadt

Es war nicht viel wärmer als 5 Grad Celsius, als ich am ersten Freitagabend im neuen Jahr Delhi verließ. Mit dem Zug machte ich mich auf, die rund 1300 Kilometer in den Südwesten zurückzulegen. Dieses Mal etwas komfortabler in der insgesamt zweitbesten Klasse, dafür aber auch teurer. 20 Stunden Fahrtzeit waren angekündigt, am Ende wurden es 22. Da kamen fast Heimatgefühle auf, wobei die Frage ist, ob ich die Deutsche Bahn in diesem Fall nicht überschätze.
Ankunft um 20 Uhr in einer unbekannten Mega-City, nicht mehr die mehr als 25 Grad vom Mittag auf dem Temperatur, dazu ein Bahnhof außerhalb des Stadtkerns, in dem mein vorab übers Internet gebuchtes Hotel lag: Die Verspätung war schon etwas ärgerlich. So ließ ich mich gleich vom ersten Taxifahrer besudeln, der mich erst in sein Taxi lotste, bevor er den Preis nannte. Er wollte 850 Rupien, etwa 12 Euro, was ich aus Prinzip als zu hoch abtat. Letztendlich verschaffte ich mir Hilfe bei zwei Indern, die den Preis für mich auf 600 Rupien drückten, was angesichts von über 1,5 Stunden Fahrtzeit aus deutscher Sicht spottbillig ist.
Bevor mir der Taxifahrer seinen Ursprungspreis nannte, überflutete er mich mit Informationen: Wir seien in Bandra Terminal (was ich auf dem Zugticket auch lesen konnte) und ich wollte nach Colaba, der touristischen Halbinsel. Originalzitat des Taxifahrers: „Bandra Terminal. Colaba – end of the Mumbai.“ Das wiederholte er während der Fahrt noch so einige Male. Zum Glück wusste er ja, wo ich hinmusste, oder doch nicht?
Erst fragte er, ob ich die Adresse des Hotels hätte. Hatte ich nicht. Dann fragte er nach der Telefonnummer. Die war zum Glück noch im Handy eingespeichert. Also rief er an, um sich nach dem genauen Weg zu erkundigen. Na gut, Mumbai ist groß, und seine großmäulige Ankündigung wohl nur seiner Geschäftstüchtigkeit geschuldet.
Lächerlich wurde es aber, als er mir zwei Sekunden nach dem Telefonat mitteilte, welches Glück ich gehabt hätte, einen erfahrenen Taxifahrer wie ihn zu erwischen, der seit 24 Jahren Ausländer fährt. Seine jungen Kollegen wären mit mir mindestens drei oder vier Stunden durch die Stadt geirrt aus Unkenntnis des Weges. Da lag mir doch glatt die Frage auf der Zunge: Wo wären wir gelandet, wenn ich die Telefonnummer nicht eingespeichert gehabt hätte?
Als ich ausstieg, betonte er noch einmal mein Glück. Soviel Lächerlichkeit war mir dann doch einen winzig kleinen „Trinkgeld“-Aufpreis wert.

 Blick auf die im Smog versinkende Downtown.

Auf der anderen Seite "sieht" es auch nicht viel
besser aus.

Hotelbuchungen über’s Internet? Nicht noch einmal!

Die erste Lehre des Trips war also: Habe immer die Telefonnummer deines Hotels dabei. Die zweite lautete: Buche dies nie über das Internet, selbst wenn die Rezensionen im Netz gut sind.
Ich hatte mir gedacht, eine Unterkunft für ca. 11 Euro pro Nacht mit Gemeinschaftsbädern könnte reichen, und abgesehen von der ungemütlichen Lage in einer Seitenstraße und der spartanischen Einrichtung des Hotels „Outram“ schienen sich die positiven Internetrezensionen zu bestätigen.
Die erste Skepsis kam auf, als ich unter der Bettdecke fremde Haare fand. Okay, die ließen sich wegmachen. Ich machte es mir gemütlich. An Schlafen war jedoch nicht zu denken. Über der Wand war ein Gitter ohne jegliche Schallisolierung, sodass ich die ganze Nacht über den Fernseher aus dem Nebenzimmer und das lautstark sich unterhaltende Hotel-Personal hören konnte.
Nach der zweiten Nacht mit schlechtem Schlaf hintereinander ließ ich mich am Sonntag in einem deutlich teureren, dafür aber einwandfreien und ebenfalls zentral gelegenem Hotel nieder. Nach ausgiebiger Zimmerinspektion entschied ich mich dann für die teurer der zwei Zimmervarianten – eine gute Wahl: Perfekter Zimmerservice, ein weiches und sauberes Bett, ein eigenes Badezimmer. Ich war im teuren Indien angelangt.
Hotelbuchungen über’s Internet? Das nächste Mal ohne mich!

Bablus und meine gute Tat

Der Sonntag begann mit Sightseeing. Ich war gerade mit dem Victoria Terminus und dem High Court fertig, als ich Bablu traf – meinen persönlichen Reiseführer für die nächste Stunde. Ich hatte ihn eigentlich nur nach dem Weg zur St-Thomas-Kathedrale gefragt, aber er führte mich noch zur Synagoge und diversen anderen Sehenswürdigkeiten. Alles nur, um eine gute Tat zu vollbringen, wie es der Hinduismus fordert, erzählte er mir. Später dann schlug er mir allerdings vor, ich könnte doch auch etwas Gutes tun, indem ich ihm eine Kinokarte für den Abend kaufe. Ich willigte ein, die drei Euro hatte er sich verdient, wenngleich auf eine – etwas pauschalisiert– typisch indische Art und Weise.

 Am Victoria-Terminus.
 Die Inder bei ihrem Volkssport.

 Mein persönlicher Reiseführer Bablu...

...und ich vor der St-Thomas-Kathedrale

Am Nachmittag traf ich dann Wibke und ihre Gruppe das erste Mal und begleitete sie auf eine Jubiläumsfeier einer indischen Nichtregierungsorganisation. Es war spannend, deutsche „Kurzurlauber“ in Mumbai zu beobachten – ein wenig fühlte ich mich an meine Anfangszeit erinnert, auch wenn die Situation natürlich nicht vergleichbar war. Und im Gegensatz zu ihnen konnte ich sogar mit meinen spärlichen Hindi-Kenntnissen glänzen.

Vom dreckigsten Strand zur traumhaften Insel

Am Montag traf ich sie wieder, diesmal zum Souvenir-Kaufen. Vorher hatte ich mich aber aufgemacht zum wohl dreckigsten Strand der Welt. Ja, Mumbai hat einen Strand. Direkt vor der Downtown gelegen, könnte man ihn auch für die Mülldeponie der Stadt halten – zumindest das Wasser. Hier hielt es mich nicht lange auf, weshalb ich mir noch ein kleines Gandhi-Museum antat. Gerade richtig, um nicht zu langweilig oder zur Zeitverschwendung zu werden.

Girgaon Chowpatty - der Strand vor der Downtown... 

... der im Müll versinkt

Abends hieß es dann schon wieder Abschied nehmen von Wibke, mit der Idee, sich doch einfach mal in Deutschland zu treffen. Bislang hatten wir immer britischen oder indischen Boden unter den Füßen, wenn wir uns gesehen haben.
Mir blieb noch ein ganzer Tag in Mumbai, den ich auf Elephanta Island verbrachte, einer Insel im Golf von Bengalen, mit der Fähre  etwa eine Stunde entfernt. Elephanta ist wegen seiner Höhlen mit verschiedenen Skulpturen Weltkulturerbe und deshalb ein Highlight für Touristen. Das eigentlich Schöne an der Insel war aber die Ruhe im Inneren, in das sich kaum Touristen vorwagen und in dem sogar Insulaner in einem schlummernden Dorf wohnen. Dazu eine wunderschöne Landschaft, wie sie weder in Mumbai noch in Delhi vorstellbar wäre.

Der "Gateway of India" - für mich der
"Gateway to Elephanta Island" 

Abfahrt aus dem Hafen. 

Ob das Schiff echt gestrandet ist? Erster Blick
auf Elephanta. 

 Der Steg, an dem die Fähre ankommt.

 Ein Beispiel für das Weltkulturerbe.

Der versteckte See.

Nicht nur wir Menschen lausen uns. 

 Nebel - und das an einem strahlend warmen
Sonnentag.

 Einblick in die Welt der Insulaner.

 Der Steg auf der anderen Seite der Insel.
Seltsamerweise liegen hier auch große Container-
Schiffe vor Anker.

Das Dorf - umgeben von Wald und Natur.

Die Rückfahrt hatte ich so perfekt getimt, dass ich passend zum Sonnenuntergang im Hafen von Mumbai eintraf.


Tag der Betrüger

Blieb noch ein halber Mittwoch übrig, an dem ich mir vor meiner Rückfahrt per Zug noch die Haji-Ali-Moschee, ein Pilgerviertel und die größte Wäscherei der Welt anschauen konnte. Letztere taucht auch im Guinness-Buch der Rekorde auf, weil hier einmal 496 Menschen zur gleichen Zeit Wäsche mit der Hand gewaschen haben.
Ich schien mich als Tourist ganz wohl zu fühlen, jedenfalls zahlte ich rund 1,50 Euro, um Fotos im Innern machen zu dürfen. Ziemlich naiv, später stellte ich fest, dass ich auf einen Betrüger hineingefallen war.

 Die Wäscherei von oben.

Dank der entrichteten "Gebühr" habe ich auch
innen fotografiert.

Die Haji-Ali-Moschee, die auf einer Insel liegt.
Besucher können die Brücke, die auf sie führt
nur bei Niedrigwasser überqueren, da sie sonst
überflutet ist. 

Im Pilgerviertel ist öffentliches Waschen/Baden
nicht ungewöhnlich.

Die Betrüger hatten es anscheinend am letzten Tag auf mich abgesehen. Bepackt mit meinem Reiserucksack fuhr ich am Mittwoch nur noch Taxi, anders als die Tage zuvor. Eigentlich sind Taxen wirklich günstig, wenn auch teurer als Auto-Rikshaws, die es allerdings im reichen Teil Mumbais, in dem ich mich fast ausschließlich bewegte, nicht gab. Ich fuhr immer mit dem Kilometerzähler, und einmal wurde es mir fast zum Verhängnis. Nach geschätzt 300 Metern war der Zähler in einem Taxi bereits auf 1,5 Kilometer vorgesprungen. Ich intervenierte, und der Fahrer versuchte sich auch gar nicht herauszureden. Stattdessen nannte er mir einen lächerlich hohen Festpreis, den ich dankend ablehnte, und ließ mich aussteigen. Der letzte Taxifahrer auf dem Weg zum zentralen Bahnhof versuchte es auch noch mal, indem er den Zähler am Anfang der Fahrt nicht auf Null stellte. So dumm bin ich nach heute genau vier Monaten Delhi dann auch nicht mehr!
Zurück ging es wieder über Nacht, dieses Mal allerdings in nur 16 Stunden. Ich hatte den schnelleren Zug gebucht, indem es sogar kostenlos Mahlzeiten und Snacks. Vielleicht mit Vorbildfunktion für die Deutsche Bahn? Lassen wir das.
Es war nur noch die drittbeste Klasse (auch mit Lüftung) verfügbar gewesen, doch das sollte sich im Nachhinein als Glücksfall herausstellen. Zu meinen Reisebegleitern zählten u. a. Richard, ein ehemaliger Soldat der britischen Armee, und Kamal, ein in den USA lebender Inder. Zwei Rentner, die so einiges zu erzählen hatten – vor allem Richard. Er war insgesamt zehn Jahr in Deutschland stationiert, erstmals, als die deutsche Mauer gebaut wurde. Mittlerweile arbeitet er von März bis Oktober an einem Londoner Flughafen, das andere halbe Jahr reist er herum. Sri Lanka, Bangladesch, Indonesien, Malaysia, Vietnam, China, die Philippinen – Richard hat schon Einiges erlebt. Bei seinen Anekdoten und Geschichten wurde die Fahrt jedenfalls nie langweilig.

Mumbai ist cooler, aber Delhi hört den „King of Hip Hop“

Langweilig ist wieder Mumbai noch Delhi. Der Teil von Mumbai, den ich gesehen habe, könnte fast genauso gut irgendwo in Großbritannien liegen. Teure Hotels, leckere, internationale Restaurants, dazu eine traumhafte Uferpromenade. Mumbais schönster Teil überragt den von Delhi eindeutig. Die Stadt ist der klare Gewinner im Metropolen-Vergleich. Allerdings muss ich ehrlich sagen, dass ich mir auch nur ihre Highlights herausgesucht habe.

Und einen Trumpf hatte Delhi nach meiner Rückkehr noch in der Tasche: Am Sonntag gab sich tatsächlich der von der Moderatorin als „King des Hip Hop“ angekündigte Snoop Dogg die Ehre, für umgerechnet etwas mehr als 20 Euro in Delhi aufzutreten. Ein bisschen Stimmung, ein bisschen mehr Rap und ganz viel Show – so oder so, Snoop Dogg beschert Delhi im Wettstreit mit Mumbai einen ersten vorerst letzten Punktgewinn.aHahAHattH

Dienstag, 1. Januar 2013


Wandel aus der Mitte


Indien ist in Aufruhr - so sehr, dass selbst deutsche Medien über die teilweise gewaltsamen Demonstrationen für mehr Frauenrechte berichten. In Delhi, dem Epizentrum der Protestwelle, gehen überwiegend junge Frauen und Männer seit Tagen auf die Straße. Sie fordern mehr Sicherheit für Frauen und eine härtere Strafverfolgung bei sexuellen Übergriffen.
Auslöser war die brutale Vergewaltigung einer 23-jährigen Studentin, die am 16. Dezember abends in einem Privatbus von sechs Männern eine Stunde lang missbraucht und mit einer Eisenstange schwer verletzt wurde. Ihr Freund, mit dem sie sich auf dem Rückweg von einem Kinobesuch befand, wurde vorher bewusstlos geschlagen. Nach der perversen Tat wurden beide aus dem fahrenden Bus geworfen.
Zwei Wochen lang hat die junge Frau ums Überleben gekämpft, sie wurde mehrmals notoperiert und sogar nach Singapur ausgeflogen (s. untenstehender Link). Es hat alles nicht geholfen, am Wochenende ist sie gestorben. Doch mit ihrem Tod ist der Protest erneut aufgeflammt.
Ich habe die Protesten noch nicht unmittelbar mitbekommen, sie erstrecken sich offenbar auf das Regierungsviertel nahe des Stadtzentrums. Am Heiligabend sowie am vergangenen Wochenende waren allerdings zahlreiche Metrostationen in Zentrumsnähe geschlossen, was mich zum Glück nicht beeinträchtigt hat.
Die Täter wurden mittlerweile – entgegen dem Regelfall – schnell gefasst. Ihnen soll nun zügig der Prozess gemacht werden, und geht es nach den Demonstranten, ist das Urteil eindeutig: die Todesstrafe. Sie wird in Indien nur noch selten angewendet, das letzte Mal allerdings im November dieses Jahres, als der einzig überlebende Attentäter der Anschläge von Mumbai, ein Pakistaner, erhängt wurde.
An sich sind die Strafen für Vergewaltigungen in Indien schon hoch genug, als Höchststrafe kann lebenslange Haft verhängt werden. Allein die Korruption in Polizei- und Justizkreisen verhindert allzu oft eine konsequente Bestrafung der Täter. (Im Artikel, der am Freitag in der Nordwest Zeitung erschienen ist und der unten verlinkt ist, äußert sich eine meiner Kolleginnen dazu.) Das Kastensystem ist immer noch präsent. Wenn ein Mann einer höheren Kaste eine in der gesellschaftlichen Hierarchie unter ihm stehende Frau missbraucht, wird er oft nicht verfolgt, berichtet etwa sueddeutsche.de.
Und hier liegt für mich der Kern des Problems: Indien hat nicht nur ein Frauenrechtsproblem, sondern ein darüber hinausgehendes Defizit an Gleichberechtigung. Hier zeigt sich, dass Gesetze selten eine tiefgreifende Veränderung bewirken können. Trotz der offiziellen Abschaffung des Kastensystems 1948 (!) wird in Zeitungsanzeigen, in denen nach Heiratspartnern gesucht wird, noch immer die Kaste angegeben.
Einerseits trägt sicherlich der korrupte und ineffiziente Staatsapparat eine Mitschuld. Andererseits ist es jedoch schwierig, einen gesellschaftlichen Prozess zu forcieren, wenn fest verankerte Hierarchien den Alltag bestimmen und mehr oder weniger stillschweigend geduldet werden.
Womöglich hat dieser Fall das Potenzial einen solchen Wandel voranzutreiben, ähnlich wie der Tod des tunesischen Gemüseverkäufers, der durch seine Selbstverbrennung den Arabischen Frühling initiierte. Und dennoch sind es zwei völlig entgegengesetzte Beispiele.
Während in den arabischen Ländern Diktatoren unfreie Gesetze erließen, ist Indien offiziell ein demokratischer Staat, wenngleich die Umsetzung der Demokratie an vielen Stellen mangelhaft ist.
Manche Dinge entziehen sich aber auch der Macht eines Staates. So stehen selbst in Delhi arrangierte Hochzeiten noch auf der Tagesordnung, ich selbst werde im April Zeuge einer solchen werden. Dabei möchte ich im konkreten Fall gar nicht beurteilen, ob beide Partner darüber glücklich sind oder nicht, das mag von Fall zu Fall tatsächlich unterschiedlich sein. Dieses Relikt  aus alten Zeiten nimmt jedoch jungen Menschen ihre Wahlfreiheit.
Viele junge Inder hängen fest zwischen Tradition und Moderne: Sie tragen Jeans und Hemden von internationalen Marken, aber werden mit einer von den Eltern ausgewählten Frau verheiratet.
Es deutet sich ein langsamer, schleichender Wandel an, das ist zumindest mein Eindruck. Ich bin mir auch sicher, dass es unmöglich ist, in Zeiten einer aufstrebenden indischen Mittel- und Oberschicht ein solch archaisches System aufrecht zu erhalten.
Die Frage ist, ob der Fortschritt wieder nur einem verhältnismäßig kleinem Teil der Bevölkerung zugute kommt, oder ob dieses Mal auch die Vielzahl der „Namenlosen“, der Armen, davon profitiert.
Das Opfer vom 16. Dezember ist eine Repräsentantin der kleinen Mittelschicht, nur deshalb kam es wahrscheinlich überhaupt zu den Protesten. Ich bin gespannt, ob es nachhaltige Veränderungen geben wird und wie sie aussehen werden. Im Moment habe ich die einmalige Chance, dem Beginn eines möglichen gesellschaftlichen Wandels beizuwohnen.
Es ist an der Zeit, dass die größte Demokratie der Welt dem urdemokratischen Prinzip der Gleichheit ein neues, aus seiner Mitte kommendes Gewicht verleiht.

Hier der Link zu dem auf nwzonline.de erschienen Artikel von mir. Leider sind die Agentur-Informationen längst wieder überholt:

http://www.nwzonline.de/panorama/vergewaltigungsopfer-in-singapur-operiert_a_2,0,229426207.html

An dieser Stelle allen ein

Frohes Neues Jahr


Silvester in Indien war übrigens überraschend ruhig - so gut wie kein Feuerwerk. Wahrscheinlich haben es die Inder schon im Laufe des Jahres verpulvert, war mein erster Gedanke.
Tatsächlich hängt die eingeschränkte, öffentliche Feierei wohl auch mit dem Tod der Studentin zusammen. Laut sueddeutsche.de haben viele Clubs ihre Partys im Vorfeld abgesagt. Zu spüren waren strenge Vorschriften schon am Wochenende: Die Öffnungszeiten der Night-Clubs, aber auch einiger Läden sind vorübergehend eingeschränkt.