Fünftägige Flucht ins „deutsche“ Mumbai
Viele Menschen, chaotischer
Verkehr, bedeutende Metropole – und dazu Slums, Smog und Straßenkinder. Ob
Delhi oder Mumbai, man findet es in beiden Städten. Warum also ins ehemalige
Bombay fahren, wenn man doch alles auch in Delhi haben kann?
Na gut, fast alles! Da fängt
es nämlich schon an: Mumbai hat Bollywood, Delhi nicht. Mumbai hat einen Hafen,
Delhi nicht. Mumbai liegt in der Nähe einer paradiesischen Insel, Delhi nicht.
Und: In Mumbai ist es sommerlich warm zurzeit, in Delhi nicht.
Ich wollte die Unterschiede
selbst sehen, die offensichtlichen wie die versteckten. Außerdem war Wibke,
eine Freundin aus den Londoner Paralympics-Zeitungs-Tagen in diesem Sommer, mit
8 Mitschülern und zwei Lehrern in Mumbai, weil die Gruppe einen Schulwettbewerb
gewonnen hatte. Ich konnte also gleich beides verbinden. Mumbai wurde so fast
schon deutsch für ein paar Tage…
Nein, wir sind
nicht verrückt!
Ein besonderer Gruß an das Paralympics-Zeitungs-Team,
das jetzt zum GOLD-Team geworden ist.
"GOLD - Du kannst mehr als du denkst" heißt der Film über drei Sportler mit Behinderung, der Ende Februar seine Premiere feiert (http://www.du-bist-gold.de/projekt_gold.html)
Der widersprüchlichste Taxifahrer der Stadt
Es war nicht viel wärmer als 5
Grad Celsius, als ich am ersten Freitagabend im neuen Jahr Delhi verließ. Mit
dem Zug machte ich mich auf, die rund 1300 Kilometer in den Südwesten
zurückzulegen. Dieses Mal etwas komfortabler in der insgesamt zweitbesten
Klasse, dafür aber auch teurer. 20 Stunden Fahrtzeit waren angekündigt, am Ende
wurden es 22. Da kamen fast Heimatgefühle auf, wobei die Frage ist, ob ich die
Deutsche Bahn in diesem Fall nicht überschätze.
Ankunft um 20 Uhr in einer
unbekannten Mega-City, nicht mehr die mehr als 25 Grad vom Mittag auf dem
Temperatur, dazu ein Bahnhof außerhalb des Stadtkerns, in dem mein vorab übers
Internet gebuchtes Hotel lag: Die Verspätung war schon etwas ärgerlich. So ließ
ich mich gleich vom ersten Taxifahrer besudeln, der mich erst in sein Taxi
lotste, bevor er den Preis nannte. Er wollte 850 Rupien, etwa 12 Euro, was ich
aus Prinzip als zu hoch abtat. Letztendlich verschaffte ich mir Hilfe bei zwei
Indern, die den Preis für mich auf 600 Rupien drückten, was angesichts von über
1,5 Stunden Fahrtzeit aus deutscher Sicht spottbillig ist.
Bevor mir der Taxifahrer
seinen Ursprungspreis nannte, überflutete er mich mit Informationen: Wir seien
in Bandra Terminal (was ich auf dem
Zugticket auch lesen konnte) und ich wollte nach Colaba, der touristischen
Halbinsel. Originalzitat des
Taxifahrers: „Bandra Terminal. Colaba – end of the Mumbai.“ Das
wiederholte er während der Fahrt noch so einige Male. Zum Glück wusste er ja,
wo ich hinmusste, oder doch nicht?
Erst fragte er, ob ich die
Adresse des Hotels hätte. Hatte ich nicht. Dann fragte er nach der
Telefonnummer. Die war zum Glück noch im Handy eingespeichert. Also rief er an,
um sich nach dem genauen Weg zu erkundigen. Na gut, Mumbai ist groß, und seine
großmäulige Ankündigung wohl nur seiner Geschäftstüchtigkeit geschuldet.
Lächerlich wurde es aber, als
er mir zwei Sekunden nach dem Telefonat mitteilte, welches Glück ich gehabt
hätte, einen erfahrenen Taxifahrer wie ihn zu erwischen, der seit 24 Jahren
Ausländer fährt. Seine jungen Kollegen wären mit mir mindestens drei oder vier
Stunden durch die Stadt geirrt aus Unkenntnis des Weges. Da lag mir doch glatt
die Frage auf der Zunge: Wo wären wir gelandet, wenn ich die Telefonnummer
nicht eingespeichert gehabt hätte?
Als ich ausstieg, betonte er
noch einmal mein Glück. Soviel Lächerlichkeit war mir dann doch einen winzig
kleinen „Trinkgeld“-Aufpreis wert.
Blick auf die im Smog versinkende Downtown.
Auf der anderen Seite "sieht" es auch nicht viel
besser aus.
Hotelbuchungen über’s Internet? Nicht noch einmal!
Die erste Lehre des Trips war
also: Habe immer die Telefonnummer deines Hotels dabei. Die zweite lautete:
Buche dies nie über das Internet, selbst wenn die Rezensionen im Netz gut sind.
Ich hatte mir gedacht, eine
Unterkunft für ca. 11 Euro pro Nacht mit Gemeinschaftsbädern könnte reichen,
und abgesehen von der ungemütlichen Lage in einer Seitenstraße und der
spartanischen Einrichtung des Hotels „Outram“ schienen sich die positiven
Internetrezensionen zu bestätigen.
Die erste Skepsis kam auf, als
ich unter der Bettdecke fremde Haare fand. Okay, die ließen sich wegmachen. Ich
machte es mir gemütlich. An Schlafen war jedoch nicht zu denken. Über der Wand
war ein Gitter ohne jegliche Schallisolierung, sodass ich die ganze Nacht über
den Fernseher aus dem Nebenzimmer und das lautstark sich unterhaltende
Hotel-Personal hören konnte.
Nach der zweiten Nacht mit
schlechtem Schlaf hintereinander ließ ich mich am Sonntag in einem deutlich
teureren, dafür aber einwandfreien und ebenfalls zentral gelegenem Hotel
nieder. Nach ausgiebiger Zimmerinspektion entschied ich mich dann für die
teurer der zwei Zimmervarianten – eine gute Wahl: Perfekter Zimmerservice, ein
weiches und sauberes Bett, ein eigenes Badezimmer. Ich war im teuren Indien
angelangt.
Hotelbuchungen über’s
Internet? Das nächste Mal ohne mich!
Bablus und meine gute Tat
Der Sonntag begann mit
Sightseeing. Ich war gerade mit dem Victoria
Terminus und dem High Court fertig,
als ich Bablu traf – meinen persönlichen Reiseführer für die nächste Stunde.
Ich hatte ihn eigentlich nur nach dem Weg zur St-Thomas-Kathedrale gefragt, aber er führte mich noch zur Synagoge
und diversen anderen Sehenswürdigkeiten. Alles nur, um eine gute Tat zu
vollbringen, wie es der Hinduismus fordert, erzählte er mir. Später dann schlug
er mir allerdings vor, ich könnte doch auch etwas Gutes tun, indem ich ihm eine
Kinokarte für den Abend kaufe. Ich willigte ein, die drei Euro hatte er sich
verdient, wenngleich auf eine – etwas pauschalisiert– typisch indische Art und
Weise.
Am Victoria-Terminus.
Die Inder bei ihrem Volkssport.
Mein persönlicher Reiseführer Bablu...
...und ich vor der St-Thomas-Kathedrale
Am Nachmittag traf ich dann
Wibke und ihre Gruppe das erste Mal und begleitete sie auf eine Jubiläumsfeier
einer indischen Nichtregierungsorganisation. Es war spannend, deutsche
„Kurzurlauber“ in Mumbai zu beobachten – ein wenig fühlte ich mich an meine
Anfangszeit erinnert, auch wenn die Situation natürlich nicht vergleichbar war.
Und im Gegensatz zu ihnen konnte ich sogar mit meinen spärlichen
Hindi-Kenntnissen glänzen.
Vom dreckigsten Strand zur traumhaften Insel
Am Montag traf ich sie wieder,
diesmal zum Souvenir-Kaufen. Vorher hatte ich mich aber aufgemacht zum wohl
dreckigsten Strand der Welt. Ja, Mumbai hat einen Strand. Direkt vor der
Downtown gelegen, könnte man ihn auch für die Mülldeponie der Stadt halten –
zumindest das Wasser. Hier hielt es mich nicht lange auf, weshalb ich mir noch
ein kleines Gandhi-Museum antat. Gerade richtig, um nicht zu langweilig oder
zur Zeitverschwendung zu werden.
Girgaon Chowpatty - der Strand vor der Downtown...
... der im Müll versinkt
Abends hieß es dann schon
wieder Abschied nehmen von Wibke, mit der Idee, sich doch einfach mal in
Deutschland zu treffen. Bislang hatten wir immer britischen oder indischen
Boden unter den Füßen, wenn wir uns gesehen haben.
Mir blieb noch ein ganzer Tag
in Mumbai, den ich auf Elephanta Island verbrachte,
einer Insel im Golf von Bengalen, mit der Fähre
etwa eine Stunde entfernt. Elephanta
ist wegen seiner Höhlen mit verschiedenen Skulpturen Weltkulturerbe und
deshalb ein Highlight für Touristen. Das eigentlich Schöne an der Insel war
aber die Ruhe im Inneren, in das sich kaum Touristen vorwagen und in dem sogar
Insulaner in einem schlummernden Dorf wohnen. Dazu eine wunderschöne
Landschaft, wie sie weder in Mumbai noch in Delhi vorstellbar wäre.
Der "Gateway of India" - für mich der
"Gateway to Elephanta Island"
Abfahrt aus dem Hafen.
Ob das Schiff echt gestrandet ist? Erster Blick
auf Elephanta.
Der Steg, an dem die Fähre ankommt.
Ein Beispiel für das Weltkulturerbe.
Der versteckte See.
Nicht nur wir Menschen lausen uns.
Nebel - und das an einem strahlend warmen
Sonnentag.
Einblick in die Welt der Insulaner.
Der Steg auf der anderen Seite der Insel.
Seltsamerweise liegen hier auch große Container-
Schiffe vor Anker.
Das Dorf - umgeben von Wald und Natur.
Die Rückfahrt hatte ich so
perfekt getimt, dass ich passend zum Sonnenuntergang im Hafen von Mumbai
eintraf.
Tag der Betrüger
Blieb noch ein halber Mittwoch
übrig, an dem ich mir vor meiner Rückfahrt per Zug noch die Haji-Ali-Moschee, ein Pilgerviertel und
die größte Wäscherei der Welt anschauen konnte. Letztere taucht auch im Guinness-Buch
der Rekorde auf, weil hier einmal 496 Menschen zur gleichen Zeit Wäsche mit der
Hand gewaschen haben.
Ich schien mich als Tourist ganz wohl zu fühlen, jedenfalls zahlte ich rund 1,50 Euro, um Fotos im Innern machen zu dürfen. Ziemlich naiv, später stellte ich fest, dass ich auf einen Betrüger hineingefallen war.
Ich schien mich als Tourist ganz wohl zu fühlen, jedenfalls zahlte ich rund 1,50 Euro, um Fotos im Innern machen zu dürfen. Ziemlich naiv, später stellte ich fest, dass ich auf einen Betrüger hineingefallen war.
Die Wäscherei von oben.
Dank der entrichteten "Gebühr" habe ich auch
innen fotografiert.
Die Haji-Ali-Moschee, die auf einer Insel liegt.
Besucher können die Brücke, die auf sie führt
nur bei Niedrigwasser überqueren, da sie sonst
überflutet ist.
Im Pilgerviertel ist öffentliches Waschen/Baden
nicht ungewöhnlich.
Die Betrüger hatten es anscheinend am
letzten Tag auf mich abgesehen. Bepackt mit meinem Reiserucksack fuhr ich am
Mittwoch nur noch Taxi, anders als die Tage zuvor. Eigentlich sind Taxen
wirklich günstig, wenn auch teurer als Auto-Rikshaws, die es allerdings im
reichen Teil Mumbais, in dem ich mich fast ausschließlich bewegte, nicht gab.
Ich fuhr immer mit dem Kilometerzähler, und einmal wurde es mir fast zum
Verhängnis. Nach geschätzt 300 Metern war der Zähler in einem Taxi bereits auf
1,5 Kilometer vorgesprungen. Ich intervenierte, und der Fahrer versuchte sich
auch gar nicht herauszureden. Stattdessen nannte er mir einen lächerlich hohen
Festpreis, den ich dankend ablehnte, und ließ mich aussteigen. Der letzte
Taxifahrer auf dem Weg zum zentralen Bahnhof versuchte es auch noch mal, indem
er den Zähler am Anfang der Fahrt nicht auf Null stellte. So dumm bin ich nach
heute genau vier Monaten Delhi dann auch nicht mehr!
Zurück ging es wieder über Nacht,
dieses Mal allerdings in nur 16 Stunden. Ich hatte den schnelleren Zug gebucht,
indem es sogar kostenlos Mahlzeiten und Snacks. Vielleicht mit Vorbildfunktion
für die Deutsche Bahn? Lassen wir das.
Es war nur noch die drittbeste
Klasse (auch mit Lüftung) verfügbar gewesen, doch das sollte sich im Nachhinein
als Glücksfall herausstellen. Zu meinen Reisebegleitern zählten u. a. Richard,
ein ehemaliger Soldat der britischen Armee, und Kamal, ein in den USA lebender
Inder. Zwei Rentner, die so einiges zu erzählen hatten – vor allem Richard. Er
war insgesamt zehn Jahr in Deutschland stationiert, erstmals, als die deutsche
Mauer gebaut wurde. Mittlerweile arbeitet er von März bis Oktober an einem
Londoner Flughafen, das andere halbe Jahr reist er herum. Sri Lanka,
Bangladesch, Indonesien, Malaysia, Vietnam, China, die Philippinen – Richard hat
schon Einiges erlebt. Bei seinen Anekdoten und Geschichten wurde die Fahrt
jedenfalls nie langweilig.
Mumbai ist cooler, aber Delhi hört den „King of Hip Hop“
Langweilig ist wieder Mumbai
noch Delhi. Der Teil von Mumbai, den ich gesehen habe, könnte fast genauso gut
irgendwo in Großbritannien liegen. Teure Hotels, leckere, internationale
Restaurants, dazu eine traumhafte Uferpromenade. Mumbais schönster Teil
überragt den von Delhi eindeutig. Die Stadt ist der klare Gewinner im
Metropolen-Vergleich. Allerdings muss ich ehrlich sagen, dass ich mir auch nur
ihre Highlights herausgesucht habe.
Und einen Trumpf hatte Delhi
nach meiner Rückkehr noch in der Tasche: Am Sonntag gab sich tatsächlich der
von der Moderatorin als „King des Hip Hop“ angekündigte Snoop Dogg die Ehre,
für umgerechnet etwas mehr als 20 Euro in Delhi aufzutreten. Ein bisschen
Stimmung, ein bisschen mehr Rap und ganz viel Show – so oder so, Snoop Dogg beschert
Delhi im Wettstreit mit Mumbai einen ersten vorerst letzten Punktgewinn.