Mittwoch, 7. August 2013

Für immer fremd


Varanasi, die „heilige Stadt“ am Ganges, Ziel vieler hinduistischer Pilger und Schauplatz der traditionellen Totenverbrennung, war am letzten Wochenende der letzte Urlaubsort meines Indienaufenthaltes. Der zwölf Stunden Zugfahrt von Delhi entfernte und vom Reiseführer Lonely Planet als möglicher „Höhepunkt der Indienreise“ angekündigte Ort entpuppte sich trotz der Monsunzeit als Quelle der hinduistischen Spiritualität. Es waren allerdings weniger Pilger als erwartet unterwegs. Weil der Ganges den höchsten Wasserstand seit vielen Jahren aufweist, sind die sogenannten Ghats alle überflutet. Von diesen Steintreppen, die ins Wasser führen, steigen die Gläubigen hinab, um ein Bad im für Hindus heiligen Ganges zu nehmen. Hier können sie sich laut hinduistischer Lehre von ihren Sünden reinwaschen. Dabei stört es die Pilger auch nicht, dass der Fluss eher einer fließenden, braunen Schlammlawine mit unzähligen Schadstoffen und Bakterien gleicht. Wir haben sogar eine alte Frau, deren Kleider vom Wasser durchtränkt waren, sich eine Anhöhe hinauf schleppen sehen.
Viel auffallender waren indes unzählige komplett in orange gekleidete Pilger, die mit bunt geschmückten Stangen in Richtung Fluss marschierten und dabei Parolen riefen. Man konnte sich durchaus an Karl Marx‘ berühmtes Zitat mit der Religion, die Opium für das Volk sei, erinnert fühlen. Vor allem in der Abenddämmerung herrschte rund um die überfluteten Ghats reges Treiben, wobei ich die Stadt gar nicht so chaotisch fand, wie sie beschrieben wird. Ein Jahr in Delhi härtet eben ab.
Und es macht auch müde. Müde, weil man immer wieder mit Betrügern und Halsabschneidern zu tun hat. Dass die Schlepper und Rikscha-Fahrer in Delhi nervig sind, wusste ich. Dass sie in Varanasi sogar noch nerviger sind, konnte ich mir höchstens denken, schließlich handelt es sich um eine Touristenhochburg. Selbst wenn wir – ich reiste mit meinen Mitfreiwilligen Tine und Liane – endlich in einer Auto-Rikscha saßen, konnten wir nicht sicher sein, dass man nicht doch noch versucht, den Profit hinten herum in die Höhe zu treiben. Das ist in Delhi dann doch eher die Ausnahme.
Die perfideste Strategie, Touristen Geld abzuknöpfen, verfolgten aber Männer am sogenannten burning ghat, an dem die Toten nach hinduistischer Tradition verbrannt und eingeäschert werden.
Touristen dürfen wie auch jeder andere Bürger auf das Dach eines Gebäudes steigen, von wo aus man sieht, wie die verhüllten Leichen herbeigetragen, das Holz für die Verbrennung abgewogen wird und die Feuer am Brennen sind. Bei dieser intimen Zeremonie ist Fotografieren natürlich verboten. Eintritt wird selbstverständlich auch nicht genommen.
Wir waren zweimal an diesem Ghat. Beim ersten Mal sagten uns die Männer am Eingang sehr deutlich, wir müssten den auf der ersten Etage bettelnden Frauen eine Spende geben. Ich war schon da skeptisch, letztlich gaben wir aber eine kleine Spende. Als uns beim zweiten Mal der gleiche Unsinn erzählt wurde mit dem Zusatz, es müssten 100 Rupien (ca. 1,30 Euro) gespendet werden, gingen wir nicht darauf ein. Daraufhin versperrte der Mann uns den Weg und wurde regelrecht aggressiv. Zum Glück konnte Tine mit einer in ihrem sehr guten Hindi vorgetragenen Bitte erreichen, dass wir nach oben gelassen wurden; die Stimmung war uns aber vermiest.
Es sind solche Vorkommnisse, die mir das Gefühl geben, vorerst genug von Indien zu haben. Es gibt auch jede Menge gastfreundliche und hilfsbereite Menschen in diesem Land, keine Frage. Doch leider muss man immer auf der Hut sein, nicht einem Betrüger auf den Leim zu gehen.
Ich habe das Gefühl, ein wandelnder Geldbeutel zu sein, aus dem fast jeder seinen Anteil haben will. Sicherlich bin ich im Vergleich zu einem Großteil der indischen Bevölkerung reich – und erst recht privilegiert, etwa indem ich krankenversichert bin. Ich kann auch verstehen, dass ein armer Rikscha-Fahrer bei mir ein Geschäft wittert. Dabei finde ich es nicht einmal dramatisch, wenn ich ein paar Rupien zu viel zahle. Wenn aber ein Basarverkäufer versucht, mir einen Regenmantel für 1850 Rupien anzudrehen, für den ich am Ende 300 zahle, hört der Spaß für mich langsam auf. Immerhin kann ich mit meinen paar Sätzen signalisieren, dass ich keiner der typischen westlichen Touristen bin. Dann läuft es oft schon besser, wenn auch längst nicht immer.
Die Politik der unterschiedlichen Preise je nach Nationalität wird sogar von offizieller Seite gefahren. An Touristenattraktionen kommen Inder generell für zehn oder zwanzig Rupien rein (etwa 12 bis 22 Cent), während Ausländer das zehn- bis zwanzigfache des Preises zahlen. Das finde ich aber durchaus in Ordnung. Schließlich haben Touristen deutlich mehr Geld als viele Inder und die Preise sind aus europäischer Sicht immer noch human. Zumal Ausländer wie ich, die für einen längeren Aufenthalt registriert sind und das entsprechende Dokument vorlegen können, meistens nur den Preis für indische Besucher zahlen müssen.
Absurd waren die Eintrittspreise hingegen an einem kleinen Freizeitgelände bei Varanasi. Hier wurde nicht nur zwischen Indern und Ausländern unterschieden, sondern auch innerhalb der Gruppe der Ausländer. So wurde von Asiaten ein niedrigerer Eintritt verlangt als von „anderen Ausländer“.  Woran macht man aber bitte meine Nationalität fest? Etwa am Aussehen? Oder wird tatsächlich der Reisepass kontrolliert? In dem steht unter Nationalität aber „Deutsch“. Ich bezweifle, dass der Ticketverkäufer diese Bezeichnung „Germany“ zuordnen kann.
Dies ist nur eine kleine Episode aus lauter kleinen Geschichten, die ich erzählen könnte, um Rassismus in Indien zu beschreiben. Er wird hier deutlich offener gezeigt, ist nicht so unterschwellig wie in Deutschland manchmal. Weiße werden oft sogar bevorzugt, wenn es nicht ums Zahlen von Preisen geht. Das kann auch Gastfreundlichkeit sein, die Bewertung ist schwierig, ich möchte sie hier gar nicht vornehmen. Gegenüber Schwarzen und Indern mit dunklerer Hautfarbe wird die Diskriminierung schon augenscheinlicher. Ich habe selbst nur ein paar Beispiele erlebt, die Art und Weise, wie meine Gesprächspartner häufig über diese Menschen reden, ist aber in der Regel abschätzig.
Obwohl ich nicht selten mit manchmal sogar übertriebener Höflichkeit behandelt werde, kann ich mich nicht heimisch fühlen in diesem Land. Vielleicht gewinne ich einen kleinen Eindruck davon, wie es Ausländern in Deutschland ergeht. Einen Vergleich kann ich natürlich gar nicht ziehen. Ich finde es auch gar nicht schlimm, wenn Leute bei einem Gespräch unter Deutschen interessiert schauen. Tun wir nicht oft dasselbe, wenn wir eine türkische oder dunkelhäutige Familie in der Straßenbahn auf ihrer Muttersprache reden hören?
Was mich stört, sind die manchmal starrenden Blicke. Zusammen mit dem Bild vom „reichen Weißen“ sind sie ein Hauptgrund für meine Resignation bezüglich Indien und die Vorfreude auf Deutschland.
Natürlich habe ich viel mehr gute Erfahrungen gemacht als schlechte. Ich werde Indien mindestens mit einem weinenden Auge verlassen. Ein großes, alles umfassendes  Fazit werde ich dann in einem meiner nächsten Einträge ziehen.
Ganz besonders aufschlussreich war bisher indes eine Erkenntnis: Deutschland ist meine Heimat und wird es auch immer bleiben. Hier bin ich die ersten 19 Jahre meines Lebens aufgewachsen, die deutsche Kultur hat mich geprägt. Ich kann mich an ein Land anpassen, aber meine inneren Werte werden sich – wenn überhaupt – nur ganz langsam ändern.

Nach diesem Jahr bin ich hungrig, noch viele andere Länder und deren Kulturen kennenzulernen. Erst einmal heißt es jedoch back to the roots. Denn ich habe gemerkt, wie deutsch ich in vielerlei Hinsicht doch bin.

Die Links zu meinen letzten beiden Artikeln in der Nordwest Zeitung:

http://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/kastensystem-ist-noch-praesent_a_7,2,1598569614.html

http://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/exporte-gehen-in-die-ganze-welt_a_8,2,3285919118.html

Und Fotos aus Varanasi:

In den engen Gassen der Altstadt sind wir untergekommen.
Dabei sind wir auf ein altes Indien-Klischee getroffen: In der
"heiligen Stadt" gibt es jede Menge Kühe!

Spielende Kinder vor einem nepalesischen Tempel.

Fröhlich am Ghat.

Eines der überschwemmten Ghats.

Auflauf am Abend in der Nähe eines solchen Flusszuganges.
Ein orange gekleideter Pilger trägt seinen geschmückten Stab.

 Tine und Liane bei... ja wobei eigentlich?

5.30 Uhr...

...am Samstagmorgen...

...Sonnenaufgang...

...über Varanasi

 Ein buddhistischer Tempel auf dem Gelände der hoch
angesehenen Universität der Stadt.

Tine und ich am Ausgang des Tempels.

Eine Fakultät der Universität, versteckt hinter Palmen.

Die orange gekleideten Pilger strömen zu den Ghats.

Buddha-Statuen neben dem Tempel

Drei Indien-Klischees, vereint auf einem Bild: Die Säulen
eines Tempels, ein Junge mit Cricket-Schläger in der Hand
und im Hintergrund Kühe. Das Positive an Klischees: Sie
zeigen manchmal durchaus einen Teil der Wirklichkeit.

Ausblick von der Dachterrasse unseres Gästehauses auf
die Stadt 

Abschied aus Varanasi: Am architektonisch anspruchsvoll
gestalteten Bahnhof

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