Dienstag, 25. März 2014

Heimatbesuch


Teil 1: Charmantes Delhi, entspanntes Rishikesh, wunderbares Rajasthan - und zwischendurch ein unvergesslicher Schulausflug

Die Dame am immigration counter sagt etwas auf Hindi und grinst. Es ist irgendwann am frühen Morgen, ich bin seit einer gefühlten Ewigkeit wach und todmüde. Ich schaue sie verständnislos an. Ich verfluche in diesem Moment meine stark ausbaufähigen Hindikenntnisse und mein Zustand erlaubt es mir nicht einmal, zu bluffen. Ich gebe mich geschlagen. Sie dreht sich zu ihrem Kollegen, sagt etwas zu ihm. Beide lachen. Dann habe ich endlich meinen abgestempelten Reisepass.
Als ich wenig später aus dem Flughafen trete, wird mir schlagartig bewusst: Ich bin zurück. Es ist ungemütlich kalt, anders als im September 2012, da lief mir noch der Schweiß von der Stirn. Aber der Geruch, der in meine Nase steigt, dieser unbeschreibliche Geruch mit Wiedererkennungswert, er lässt alle Zweifel verfliegen: Delhi, hier bin ich!

Zurück am Rajiv Chowk zur Rush Hour. Und wieder
heißt es: Mittendrin statt nur dabei.

Zurück in dieser Millionenmetropole, die scheinbar so gar nichts zu bieten hat. Um Delhis speziellen Charme zu ergründen, muss man hier länger wohnen. Dann erkennt man, dass diese Stadt so viele besondere Orte hat, wunderbare und weniger wunderbare. Mit vielen verbinde ich ein Stück Heimat. Die Metro ist zu den Stoßzeiten immer noch ähnlich stark bevölkert wie eine Hähnchenmastanlage, im Straßenverkehr ist der Sportliche weiterhin klar im Vorteil. Delhis Charme ist versteckt, die Stadt ist in ihrer Hässlichkeit schön.
Viel Zeit der knapp 3 Wochen verbringe ich damit, Freunde zu treffen, meine alte Gastfamilie zu besuchen und Zeit in der Schule zu verbringen. Es ist herrlich zurückzukommen, ganz ohne Zwang, ganz ohne Verpflichtungen. Ich kann mittags zu meiner alten Arbeit gehen, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich muss gar nichts machen. Aber ich kann, wenn ich will.
Zusammen mit meinen beiden Nachfolgern Clemens und Jonathan und acht älteren Schülern fahren wir nach Agra. Zum Taj Mahal, einem der sieben modernen Weltwunder, dem Wahrzeichen Indiens. Fast wäre der Trip in letzter Sekunde geplatzt, weil am Tag vorher die Kathputli Colony, der Slum, aus dem meine Schüler kommen geräumt werden, geräumt werden sollte (s. vorheriger Eintrag). Die Bewohner können es verhindern, wir müssen den Ausflug nicht absagen. Frühmorgens geht es los, in der General Class. Billigste Klasse, wenig Platz. Wir nehmen vorlieb mit der Gepäckablage. In den folgenden 3 Stunden bis Agra verwandeln die Schüler unser Abteil in ein Tollhaus. In Deutschland wären wir hochkant aus dem Zug geflogen, hier nicht. Wir sind die Attraktion des Zuges. Drei Weiße mit 8 aufgedrehten Heranwachsenden.
Kurz danach sehen Harish, Pawan, Kishan, Sanjay, Ajay, Arjun, Deepak und Ram dann das erste Mal in ihrem Leben das Taj. Die Kameras laufen auf Hochtouren, ich merkte einmal mehr, dass ich einen Job als Fotomodel nur im äußersten Notfall annehmen würde. Wir haben Mühe, die Schüler zum Bahnhof zu bekommen. Das Taj hat sie in seinen Bann gezogen. Das sollte sich noch rächen.
Angekommen am Bahnhof bleibt uns nicht genügend Zeit, um uns in der langen Schlange vor dem Ticketschalter anzustellen. Wir beschließen, so in die General Class zu gehen. Hoffen, dort Tickets nachlösen zu können.
Als wir am Gleis ankommen ist ein Besteigen der General Class auf beiden Seiten des Zuges hoffnungslos. Die Menschen lachen uns aus den Türen heraus hängend an, mit einer Hand halten sie sich am Zug fest.
Es ist 16 Uhr, die Schüler müssen nach Hause. Was machen wir? Wird die Situation im nächsten Zug anders sein? Wohl kaum! Wir greifen zum äußersten Mittel, steigen ohne Fahrscheine in die Sleeper Class, den günstigsten Schlafwagen.
Nette Mitfahrer überlassen uns einige der oberen Liegen, auf denen wir es uns anschließend so bequem wie möglich machen. Einige der Schüler haben Panik, hatten uns versucht, davon abzuhalten, ohne Tickets in den Zug zu steigen. Jetzt fahren wir.
Plötzlich sehe ich einen Kontrolleur. Er verschwindet, taucht nicht wieder auf. Ich drehe mich um und erschrecke: Im Abteil neben uns steht ein weiterer Kontrolleur. Die Schüler stellen sich schlafend. Clemens, Jonathan und ich treffen uns zur Krisensitzung. Diskutieren die Strategie, ergebnislos.
Der Kontrolleur kommt auf mich zu – und geht an mir vorbei. Kishan, der gegenüber von mir sitzt, öffnet die Augen, grinst und bietet mir die Hand zum Einschlagen an. Ich traue dem Braten nicht. Der Kontrolleur wechselt ein kurzes Wort mit einem anderen Passagier, dreht sich um und kommt direkt auf mich zu: „Ticket!“ Langsam nehme ich meine Tasche, um auf Zeit zu spielen. Da lässt Clemens die Bombe platzen. Wir hatten gehofft verhandeln zu können. Stattdessen zeigt sich der Kontrolleur erbarmungslos. Wir müssen 385 Rupien pro Person bezahlen, bekommen aber dafür immerhin ein gültiges Ticket bis Delhi. Rund 50 Euro zahlen wir letztlich für 11 Personen, aus deutscher Sicht lächerlich, aus indischer Sicht happig. Kishans Kommentar, als der Kontrolleur weg ist: „Jetzt will ich aber eine eigene Liege haben, schließlich haben wir jetzt so viel bezahlt.“
Sein Wunsch blieb unerfüllt. Aber wir kamen pünktlich in Delhi an, mit 8 erschöpften Jungs. Auf dem Weg zur Metro meinte Pawan: „Diesen Tag werde ich nie vergessen.“ Warum, ließ er offen. Sein schelmisches Grinsen sprach indes Bände.

Geht es auf einen Schulausflug, machen sich die
Schüler immer besonders schick. Hier Pawan und
Kishan...

...dort Harish und Sanjay.

Ajay (Mitte) hat das Potenzial zum Comedian...

...genauso wie zum höchst seriösen Touristenführer.

Und dann hieß es: Bye, bye, Taj Mahal!

Am nächsten Tag holte die Schüler der Alltag wieder ein.

An einem meiner letzten Tage hatte Rohit Geburtstag...

...und bekam den obligatorischen
Geburtstagskuchen ins Gesicht geschmiert.

Am Wochenende vor unserem Agra-Trip war ich bereits im spirituellen Yoga-Ort Rishikesh am Ganges gewesen.





Am Wochenende nach dem Schulausflug fuhr ich zusammen mit acht der neuen deutschen Freiwilligen nach Jaisalmer.
17 Stunden Zugfahrt in eine Stadt in der Wüste Thar, nicht weit entfernt von Pakistan. Häuser und eine Festung aus Sandstein, herrlicher Sonnenschein. Am Samstagmorgen brachen wir auf zu einer Kamelsafari durch die Wüste, wie mit Hosen wie Aladin in 1001 Nacht und mit einem Lagerfeuer am Abend unter Sternenhimmel.

Angekommen am Bahnhof...

...wurden wir gleich von Fahrern begrüßt, die uns
sofort in ihr Hotel lotsen wollten.

Vorbereitung auf die Kamel-Safari: Beim Kauf der
"Ali-Baba-Hosen"

Die Häuser sind alle aus Sandstein gebaut.

So natürlich auch die Festung.




Start in die Wüste







Auf dem Rückweg entschloss ich mich spontan, in Jodhpur auszusteigen und noch einen Tag in der „blauen Stadt“ zu verbringen. Diesen Namen verdankt die Stadt mit einer tollen Burganlage der Tatsache, dass viele Häuser mit blauer Farbe angestrichen sind. Durch das geschäftige für indische Verhältnisse mittelgroße Jodhpur lohnte es sich auch einfach zu schlendern und die an der 30-Grad-Marke kratzenden Temperaturen zu genießen.

Blick auf die Burg








Der Uhrenturm der Stadt.

Abschied von der Burg am Abend.

Auch Delhi ist gerade dabei sich aufzuheizen, die Temperaturen steigen fast unaufhörlich, bis sie Anfang Mai dann die 45-Grad-Grenze knacken dürften. Ich erlebte die Stadt zu ihrer wohl schönsten Jahreszeit.
Während meines Aufenthalts konnte ich fast vergessen, dass ich von Indien, aber insbesondere Delhi, im August letzten Jahres genug hatte. Ohne jeglichen Stress  lässt sich der Lärm und das Chaos noch besser ertragen – vorausgesetzt, man ist ihn gewohnt und kann die hupenden Autos und aufdringlichen Verkäufer oder Rikshaw-Fahrer mit einem gelassenen Lächeln hinnehmen. Einzelne Orte, mögen sie aus objektiver Sicht auch überhaupt nicht schön sein, rufen Erinnerungen hervor oder verkörpern einfach ein Stück Heimat.
Ein Stück Heimat, dass sich in den nächsten Jahren teilweise rasant verändern dürfte. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kalakar Vikas School bei meinem nächsten Besuch noch neben der (alten) Kathputli Colony besuchen werde, tendiert gen Null. Umso schöner war es, alles noch einmal zu sehen.

Symbol der Gegensätze: Die Pacific Mall von innen...

...und außen.


Eines ist sicher: Es war nicht mein letzter Besuch in Delhi und in Indien. Wann der nächste ist, steht noch in den Sternen. Die Sterne sagen aber: Es wird nicht ewig dauern. Zu lange kann ich nicht abstinent bleiben.

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