Montag, 11. März 2013


Prinzip oder Menschlichkeit?


Delhi, Sonntagabend, kurz vor Mitternacht. Ich erlebe den vielleicht schlimmsten Moment meines bisherigen Indien-Aufenthalts.
Der vorletzte Tag des Zwischenseminars zur Halbzeit unseres Freiwilligendienstes neigt sich dem Ende zu. Wir waren mit der gesamten Gruppe Essen und sind erschlagen angesichts der Masse an Brot, Käse, Hühnchen, Reis und Gemüse, die wir verschlungen haben. Am Connaught Place waren ein paar von uns noch in einem Cafè, jetzt sind wir todmüde und wollen einfach nur noch nach Hause. Wir handeln den Preis für die Fahrt mit der Autorikscha aus, sind fast abfahrbereit.
Da kommt ein Straßenjunge ins Bild. Er ist lediglich mit einer Hose bekleidet und trägt einen Sack über seiner Schulter. Beim Einsteigen hat er uns schon angebettelt. Aus seinem Gesicht spricht die pure Verzweiflung, er giert nach einem Bissen Essen. Wir ignorieren ihn, das ist schon fast Routine. Doch er geht nicht weg. Der Rikscha-Fahrer sagt: „Geh!“ Doch der Junge bleibt. Er klammert sich an unsere Rikscha und damit irgendwie an uns, als seien wir seine letzte Hoffnung. Plötzlich fängt eines meiner Grundprinzipien an zu wanken. Das Prinzip, Bettlern kein Geld zu geben. Essen und Trinken schon, wenn ich es dabei habe. Geld nicht. Obwohl an diesem Tag 500 Rupien (etwa 7 Euro) in meiner Tasche liegen, bleibe ich hart. Wie viel erbettelt sich der Junge wohl am Tag? Vielleicht 10 Rupien?
Das rationale Prinzip besiegt das Gefühl in diesem Augenblick. Aber die Sekunden, in denen der Junge uns anfleht, werden zur Ewigkeit. Sie brennen sich in mein Gedächtnis ein. Schaffen eine Mischung aus Zweifeln und Hilflosigkeit. Rücken den ganzen Abend in ein komplett anderes Licht.
Die Rikscha fährt einen Bogen, der Junge kann sich nicht mehr an ihr festhalten. Lässt los.
Wir lassen ihn zurück, allein mit sich selbst. Und mit dem Hunger.


Linktipp: http://www.nwzonline.de/cloppenburg/wirtschaft/smog-haelt-sich-wie-unter-einer-glocke_a_2,0,2231865024.html

2 Kommentare:

  1. Finde ich aber gar nicht nett, einem Kind nichts zu geben. Hat man Dich so behandelt? Christliche Nächstenliebe ist das nicht wirklich. Viele Grüße an Dich und Deinen Wohnungsgenossen - äh, wie hiess der nochmal, ach ja, Joey - Gruss an ihn!
    Hier in Ägypten ist auch viel Armut aber Kindern gebe ich meist ein bischen Geld, es tut mir nicht weh und macht sie glücklich. Gruß, gloria.lindberg@gmail.com

    AntwortenLöschen
  2. PS Prinzip oder Unmenschlichkeit wäre vielleicht passender. Was wäre passiert, wenn Du ihm 20 oder 30 Rupien gegeben hättest? Hättest Du nicht am Ende ein besseres Gefühl? Hättest Du es im Portmonnaie gemerkt? Wieso wäre das so schlecht? Es gibt Millionen Bettler in Indien und viele davon sind Kinder. LG, Gloria

    AntwortenLöschen