Abschied vom „Rattenloch“
Am Donnerstag waren es genau fünf Monate seit meiner Landung
in Delhi – ich steuere geradewegs auf meine persönliche Halbzeit zu. Weil ich
nicht komplette zwölf Monate hier bleibe, habe ich in einem Monat schon mehr
als die Hälfte erreicht. Unglaublich, wie schnell die Zeit in diesem verrückten
Land vergeht.
Mehr oder weniger passend zur Halbzeit ziehen wir dann auch
um. Ein etwas chaotischer Umzug, wage ich mal zu behaupten. Jedenfalls wurde
das Umzugsdatum ständig verschoben. Hieß es im September noch drei bis vier
Monate (also Dezember oder Januar), wurde es schnell Ende Januar. Dann war
lange die Rede von Februar, ehe die Gastmutter uns mit Anfang März überraschte.
Kurz danach gab es das Kommando zurück, stattdessen wurde immer wieder der 15.
Februar genannt. Der war am Freitag – und ich sitze immer noch in der alten,
kleinen Wohnung. Es gab aber zwischendurch noch eine Modifikation, gewohnt
schwammig wurde gestern, heute oder morgen als möglicher Termin genannt. Gestern
Abend dann eine neue, minimal konkrete Information: Es gebe noch
Schwierigkeiten mit dem neuen Haus, es sollte aber nicht mehr länger als die
kommende Woche dauern. Der Nachsatz „hoffen wir“ hat bei mir allerdings nicht
sämtliche Zweifel ausgeräumt. Heute gab es womöglich den Durchbruch – Vorsicht ist
weiterhin geboten. Gagan sagte mir, dass ich meine Sachen so packen sollte,
dass ich am Samstag umziehen kann. Ich bilde die Vorhut (Joey ist im Urlaub und
auf seinem Zwischenseminar), bevor der Rest der Familie nachzieht. Und morgen –
so lautet der Plan – wird unser Gastbruder Gagan mir erstmals den Neubau von
innen zeigen, Fotos lade ich nach unserem Einzug hoch.
Solange widme ich
mich noch einer indischen Lieblingsbeschäftigung – dem Warten. Wer schon mal
Cricket gespielt oder geschaut hat, weiß, was ich meine.
Unten kommen etwas verspätet noch Eindrücke aus unserem
alten „Rattenloch“. Wenn ich spätabends noch in die Küche gehe, um Wasser zu
holen, sehe ich fast immer Ratten über die Schränke flitzen oder höre sie
zumindest rascheln. Und auch in unserem Zimmer haben sich immer wieder welche
eingenistet. Dieses Problem sind wir im neu renovierten Haus hoffentlich erst
einmal los.
Dort haben Joey und ich dann angeblich eine eigene Etage mit
Balkon und Küche, die wir mit zwei indischen Studenten teilen. Gekocht wird
weiterhin für uns, aber gleichzeitig besteht die Chance ein bisschen
europäische Küche zu zaubern – wobei Zaubern bei meinen Kochkünsten vielleicht
etwas übertrieben ist. Eine Etage wird von der Gastfamilie bewohnt, eine
weitere vermietet und eine dritte verkauft.
Anlass des Umzugs ist die Hochzeit von Gagan im April, auf
die ich auch schon gespannt bin. Wegen ihr wurde das alte Haus der Familie
renoviert, schließlich zieht nach der Heirat die Ehefrau mit ein.
Wie immer noch sehr viele Hochzeiten in Indien ist auch
Gagans arrangiert, allerdings kennt er seine Verlobte schon seit Kindertagen.
Immerhin, so ist diese Ehe vielleicht nicht zum Scheitern verurteilt.
Ashu, ein indischer Student und Freund von mir, hat mir von
einer Familie erzählt, in der die Ehe weniger erfolgreich verlief. Das Ehepaar,
Anfang dreißig, sei am Valentinstag zusammen in einem Club feiern gegangen. Zumindest
die Frau hatte den Abend perfekt geplant: Ihr heimlicher Liebhaber holte sie am
Club ab, mit ihm ist sie seitdem verschwunden. Soviel wusste Ashu zu berichten,
weil er dem Sohn der Familie Nachhilfe gibt.
Zur arrangierten Hochzeit seiner Schwester in Bihar, einem
Bundesstaat im Norden, der an Nepal angrenzt, hatte er mich am Telefon auch
eingeladen, sie sollte im Februar oder März stattfinden. Als ich ihn am Samstag
traf und nachfragte, erzählte er mir, die Hochzeit sei abgesagt worden. Der
vorgesehene Ehemann wollte nicht heiraten und war von seinem Vater gezwungen
worden. Weil der „Raum“ (gemeint ist vermutlich das künftige Haus)deswegen noch
immer nicht fertig war, hat Ashus Familie die Hochzeit abgesagt. Sicherlich eine
kluge Entscheidung, denn man weiß ja jetzt, was mit unzufriedenen Ehepartner
passieren kann.
Eindrücke aus dem „Rattenloch“:
Unsere Straße, eng wie jede andere im Viertel auch.
Der Hof.
Die Eingangstür zu unserer Wohnung im Erdgeschoss.
Ein altes Foto unseres Zimmers. Ein neues wollte
ich euch nicht zumuten, es sieht nicht mehr ganz so
"ordentlich" aus.
Unser Bad, die sogenannte indische Variante.
Die europäische Version hat sogar eine Dusche
(im Bild nicht zu sehen).
Das Wohnzimmer, das gleichzeitig Schlafzimmer
für Vater und Diener ist.
Die Küche mit Scherwan (so wird es jedenfalls
gesprochen), unserem Diener. Er ist wirklich winzig,
zwei Köpfe kleiner als ich.
Das Schlafzimmer von Gagan und der Gastmutter.
Das Doppelbett bekommen Joey und ich im neuen Haus.
Etwas länger her ist schon der „Tag der Republik“, er war am
25. Januar. Wer sich trotzdem für die etwas gewöhnungsbedürftige Militärparade
interessiert, kann auf NWZonline nachlesen, wie die Feierlichkeiten in Delhi
begangen wurden: http://www.nwzonline.de/cloppenburg-kreis/militaerparade-mutet-wie-relikt-aus-alten-zeiten-an_a_2,0,1361522368.html
Ich würde es nicht „Rassismus“ nennen, aber als Weißer wird
man in Delhi oft anders behandelt als ein Inder (wobei es ja auch weiße Inder
geben könnte, aber das nur als Randnotiz). Manchmal im negativen, manchmal im
positiven Sinne. Meine Meinung zum Thema „Rassismen in Kinderbüchern“ lest ihr
hier: http://www.mitmischen.de/diskutieren/topthemen/politik_und_literatur/streitgespraech/index.jsp
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