Absurdistan in Hindustan
Dass ich in Indien bin, merke
ich immer wieder. Gewisse Dinge laufen hier einfach anders als in Deutschland.
Sicherlich sind nicht alle unten aufgeführten Beispiele „typisch indisch“, sie
bilden lediglich meine persönlichen Erfahrungen ab. Die Londoner Metro
funktioniert z. B. fast genauso wie die Delhi Metro, schließlich ist sie auch
deren Vorbild.
Manche Erfahrungen sind
einfach absurd komisch und vielleicht auch etwas überspitzt dargestellt.
Deswegen solltet ihr Vieles mit einem Augenzwinkern lesen!
Metrotüren können
Familien trennen
Die Delhi Metro muss täglich
Massen von Menschen transportieren. Da ist es verständlich, dass nicht auf
jeden einzelnen von ihnen Rücksicht genommen werden kann. Als besonders
rücksichtlos erweisen sich dabei Türen. Nach dem kurzen Aufruf, die Türen
freizugeben, ertönt ein Piepen und die Türen schließen blitzschnell. Wer noch
einen Arm oder ein Bein dazwischen hat, hat Pech gehabt. Meistens gehen sie nur
kurz wieder auf, lassen das Opfer sein eingeklemmtes Körperteil befreien, und
schließen dann wieder. Nur wenn der Betroffene sehr hartnäckig ist, gehen sie manchmal
komplett wieder auf. So kann es schon mal vorkommen, dass Familien am
Metrogleis durch eine hervorschnellende Tür getrennt werden. Und so ist wohl
auch zu erklären, dass die Passagiere wie verrückt in die Züge hineindrängeln
und –schubsen.
Dennoch hat dieses Phänomen
auch etwas Positives: Es garantiert, dass die Wartezeit an den Stationen statt
zehn meistens maximal eine Minute beträgt.
Achtung:
Stolpergefahr!
Binnen weniger Tage konnte ich
die meisten Standardsätze in der Metro auswendig. An jeder Station wird der
Passagier mit Informationen überfrachtet, und dann auch noch in Hindi und in
Englisch. Die lächerlichste dabei: „Please mind the gap!“ Welche Lücke man
beachten soll, ist mir allerdings schleierhaft. Wahrscheinlich ist der
5-Zentimeter-Spalt zwischen Zug und Plattform gemeint. Dabei liegen beide auf
einer Ebene, sodass es selbst für mutwillige Schadensersatzkläger unmöglich
sein dürfte, über die Lücke zu stolpern.
Belästigung ist
nicht nur Frauensache
Um Frauen vor sexueller
Belästigung oder anderen Unannehmlichkeiten zu schützen, gibt es in der Delhi
Metro ein Abteil nur für Frauen, das sich immer im ersten Waggon befindet. An
hellhäutige Ausländer wurde indes nicht gedacht, auch wenn ich mich letzten
Freitag durchaus belästigt gefühlt habe. Ich stand lesend an eine Tür gelehnt,
als sich ein untersetzter Mann in Kuscheldistanz zu mir stellte. Weil ich ihn
unmissverständlich ignorierte, berührte er fast ebenso unauffällig mein Bein,
weshalb ich kurz aufblickte. Das war für ihn der Startschuss. Er stellte mir
die üblichen Fragen, allerdings nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals. Und
immer wieder wies er mich darauf hin, dass ich ihm Bescheid sagen solle, falls
ich ein „Angebot“ für ihn hätte. Was für ein Angebot auch immer – ich ließ ihn wissen,
dass dies sicherlich nicht der Fall sein werde. Das störte ihn nicht, und er
versuchte mir penetrant seine Handynummer unterzujubeln, was ich erfolgreich
ignorierte. Alle Versuche, die recht einseitige Konversation ganz abbrechen zu
lassen, indem ich nur knapp antwortete und anschließend wieder in mein Buch
starrte, waren zuvor schon gescheitert.
Mindestens genauso nervig war
ein Deutschlehrer aus Kerala im Süden Indiens, der mich in katastrophalem
Deutsch auf der Straße angesprochen hatte. Ich solle ihn doch mal besuchen
kommen und in seinen Unterricht begleiten. Im Nachhinein betrachtet blieb ich
wohl zu höflich und verneinte nicht vehement genug. Überdies beging ich den
Fehler, ihm meine Handynummer zu geben. Zweimal erreichte er mich, beide Male war
es laut um mich herum und ich verstand kein Wort. Zweimal verpasste ich den
Anruf der unbekannten Nummer - zum Glück. Beim fünften Mal gab es keinen
Ausweg: Ich hatte ihn an der Strippe, und konnte ihn erst gar nicht zuordnen,
weil er plötzlich Englisch sprach. Er hatte gelernt, und sollte es gleich noch
einmal tun: Wenig später hatte ich ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er
sich seine Idee abschminken könne.
Diktator im
karierten Pyjama
Mit zwei Freunden, die ich
noch von unserem Vorbereitungsseminar kannte, und die in der Nähe von Kalkutta
arbeiten, war ich bei einer Aufführung verschiedener traditioneller Gruppen aus
West-Bengalen. Wir waren gerade kurz
davor, in Tiefschlaf zu verfallen, angesichts der Langwierigkeit dieser
Veranstaltung, als uns der „Diktator im karierten Pyjama“ neues Leben
einhauchte. Aus irgendeinem Grund wurden zwei Männer nach vorne gerufen und mit
einer gebastelten Krone geadelt. Der eine von ihnen trug Sandalen und eine
kurze, grau-schwarz karierte Stoffhose, die wahlweise als Schlafanzughose oder
aus den Fugen geratene Boxershorts durchgeht. Damit nicht genug. Diese schon
äußerlich furchteinflößende Respektsperson hielt anschließend eine Rede, bei
der sie wild mit den Händen fuchtelnd unter anderem über „Pakistan“ und „Kaschmir“ schwadronierte. Doch der
Höhepunkt sollte erst noch kommen: Der zum Diktator mutierte Schlafwandler
stimmte ein Lied an, in dem er und das Publikum tatkräftig irgendetwas über
Hindustan sang. Hindustan? Das ist der ursprüngliche Name für Indien.
Nun wurde mir gesagt, der
Diktator habe positive Dinge über Pakistan und Kaschmir gesagt. Der erste
Eindruck war gleichwohl ein etwas anderer.
Akute
Explosionsgefahr auf dem Postamt
Wie bereits berichtet, ist es
spottbillig einen Brief von Indien nach Deutschland zu schicken, der Preis
beträgt etwas mehr als 30 Cent. Den Rest zu einem für uns normalen Betrag zahlt
man offensichtlich mit den Nerven, was zu einer akuten Explosionsgefahr auf dem
Postamt führt. Lange konnte ich mich zurückhalten, heute bin ich das erste Mal
etwas unfreundlich geworden.
Das Postamt, zu dem mich mein
Gastbruder geschickt hat, liegt relativ günstig auf dem Weg zur Arbeit. Die
erste Schwierigkeit stellen allerdings die Öffnungszeiten dar. Auf dem Schild
vor dem Postamt sind die hierfür vorgesehenen Felder jedenfalls leer.
Innen bekam ich jedes Mal
andere Öffnungszeiten gesagt, wobei die Zeitspanne mit jedem Mal sank. Hatte
das Büro beim ersten Mal noch von 10 bis 18 Uhr auf, reduzierte sich die
Öffnungszeit beim zweiten Mal bereits auf 10 bis 17 Uhr. Bevor ich eine neue
Variante vorgestellt bekam, holte ich an einem Samstagnachmittag gegen 16 Uhr
ein Paket ab. Das ist wichtig, um zu verstehen, wie skurril die kommende
Situation ist. Als ich erneut einen Brief aufgeben wollte, hieß es, das Postamt
habe sonnabends von 10 bis 14 und unter der Woche von 10 bis 16 Uhr auf. Ich
schenkte dem keinen Glauben, und gab an einem Montag um 16.45 (also außerhalb
der „Öffnungszeiten“) einen Brief auf. In Deutschland wirft man einen Brief einfach
in den Briefkasten. In Indien macht man hieraus einen Staatsakt. Nachdem ich
mindestens 15 Minuten gewartet hatte, versuchte mich ein Beamter wegzuschicken.
Als ich gerade im Begriff war zu gehen, kam eine kompetente Mitarbeiterin, die
mir dann die nötigen Briefmarken verkaufen konnte. Allerdings musste ich den
Brief anschließend in den Briefkasten vor dem Postbüro werfen.
Heute dann Episode 2: Mit
einer gewissen Vorahnung betrat ich das Büro. Auf einer Tafel stellte ich
erstmals fest, dass es offensichtlich für die verschiedenen Dienstleistungen
verschiedene Öffnungszeiten gibt – von wegen alles easy, aber wenigstens ein
Erklärungsansatz.
Warum ich danach aber erst
einmal alle Empfängeradressen in ein Formular eintragen musste, das ich
anschließend an den Brief anheften musste, habe ich nicht nachvollziehen können.
Briefmarken gab es aber nur von 10 bis 15 Uhr, weshalb ich am Ende doch auf den
nächsten Tag vertröstet wurde. Leider reiben sich die Öffnungszeiten mit meinen
Arbeitszeiten. Aber es half auch nicht, dem gefühlt unfreundlichsten Menschen
dieses Planeten, den ich schon beim vorherigen Mal kennengelernt hatte, darauf
hinzuweisen, dass ich jedes Mal mit anderen Öffnungszeiten konfrontiert werde.
Man schickte mich ins nächste Postamt, das tatsächlich unter der Woche bis
19.30 Uhr Briefmarken verkauft! Nach einer Stunde konnte ich endlich die Briefe aufgeben. Sensationell, und zugleich die Lösung dieses
Problems. Die indische Post und ich – eine Liebesbeziehung wird es wohl kaum
mehr werden, aber immerhin haben wir jetzt eine gemeinsame Geschäftsbasis.
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