Kulturschock? Ist doch fast alles so wie gedacht…
Ich bin da! Um das, was ich in den ersten
Stunden und Tagen erlebe, zu beschreiben, reicht das Wort „Kulturschock“ nicht
aus. Teilweise. Andererseits ist vieles gar nicht so, wie vorher beschrieben.
Es gibt Männer, die kurze Hosen tragen, und in unserer Gastfamilie wird mit
Löffeln gegessen.
Der offensichtlichste Unterschied ist die
drückenden Schwüle: Schon in Dubai habe ich das Gefühl, in die Sauna zu gehen,
sobald ich den gekühlten Flughafen verlasse. Apropos Dubai, unfreiwillig bin
ich ausgecheckt und hätte theoretisch 30 Tage in den Vereinigten Arabischen
Emiraten bleiben können. Mitten in der Wüste, wie ich beim Abflug feststellen
sollte.
Ich habe es sein lassen und bin weitergeflogen
bis Delhi. Schon beim Landeanflug fiel mir auf, dass viele Häuser von oben
seltsam baufällig aussehen. Nur das Klima, das konnte ich oben noch nicht
spüren. Feucht und heißt – da wird der Ventilator zum absoluten
Lieblingsgegenstand. Der erste Eindruck von Delhi bestätigt einige Vorurteile,
und dennoch reichen sie nicht aus, um das Gesehene zu erfassen. Zusammen mit
unserer Gastfamilie – sorry, die Namen reiche ich noch nach – warten Joey und ich
auf unseren Fahrer. Der fährt unerwartet langsam, maximal 50 Stundenkilometer.
Das Geheimnis dahinter ist: Es geht nicht schneller. Jeder versucht so schnell
wie möglich an sein Ziel zu kommen, und fährt da, wo gerade Platz ist auf der
Straße. Jeder, das sind Autofahrer, Motorrad- und Rollerfahrer, Fahrradfahrer,
Rikschafahrer und Fußgänger. Irgendwie gibt es ein Grundvertrauen der Inder,
dass der Gegenüber im Straßenverkehr noch rechtzeitig wird bremsen können. Und
eigentlich ist Autofahren ja auch nicht schwer, weshalb man in Indien keinen
Führerschein braucht. Das hat uns Gagan erzählt, der Sohn der Gastfamilie, der
Englisch spricht und im April heiraten wird. Vorher steht aber für uns noch ein
Umzug an – in ein neu renoviertes Haus. Drei bis vier Monate soll es noch
dauern. Gagan hat uns das Haus schon gezeigt. Um ehrlich zu sein: Ich kann mir
noch nicht vorstellen, dass es jemals bewohnbar sein wird. Im Moment haben wir
unser Zimmer in einer kleinen Wohnung. Mit Ventilator, wobei der ja schon fast
zu den lebensnotwendigen Dingen zählt. Genauso wie die Schärfe im Essen. Die
ist sogar extra auf unsere Gaumen angepasst, wie uns Gagan erzählt. Es ist auch
noch überraschend mild, aber mit der Zeit wollen sie uns an schärferes Essen
gewöhnen. Man merkt, dass die Familie Erfahrung hat mit deutschen Gästen, und
das beruhigt mich. Wir können problemlos das Leitungswasser trinken, weil die
Familie einen Filter gekauft hat. Also, für uns ist gesorgt. Und Joey und ich
müssen uns nicht einmal ein Bett teilen, wie uns im Vorfeld gesagt wurde. Um
die Wohnsituation kurz zusammenzufassen: Aus deutscher Sicht unvorstellbare
Zustände, aus indischer Sicht mittelständischer Luxus. Ich kann mich an die
indische Sicht gewöhnen. Muss ich wohl auch…
Gleich geht es wieder raus, raus auf die
Straße. Man darf den Indern keinen Vorwurf machen, sie hupen bevor sie an dir
vorbei rasen. Ich werde versuchen Fotos zu machen. Hauptsache, meine Kamera
fällt nicht in den Schlamm… Wie wird das wohl, wenn der Monsun kommt?
Ich kann das alles eigentlich noch gar nicht
richtig einordnen .Gagan und seine Familie sind nett und vetrauenswürdig, da
lege ich mich fest. Bisher habe ich noch mit gar nicht so vielen anderen Indern
gesprochen. All das, was ich hier in meinen ersten Zeilen aus Neu-Delhi beschrieben
habe, sind nur Eindrücke. Stellt es euch vor, als geht ihr in ein Kino mit vier
Leinwänden, einer an jeder Wand. Auf jeder Leinwand läuft ein komplett anderer
Film. Auf der einen ein alter, der dich Jahrzehnte zurückwirft. Auf der anderen
dagegen ein moderner, der dich an die Gegenwart zu Hause erinnert. Und auf den
anderen zwei Leinwänden laufen Filme, die du noch gar nicht einordnen kannst.
Ich werde versuchen, all diese Filmfetzen
zusammenzuführen und euch ein umfassendes Bild zu machen. Was vorerst bleibt,
sind Eindrücke. Viele Eindrücke.
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